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Wachstumskritiker unter sich

Die Stiftung Denkwerk Zukunft sucht nach einer alternativen Wirtschaftsphilosophie
 
pik. BERLIN, 8. Dezember. Dicke Bretter zu bohren, ist Meinhard Miegel gewohnt. 30 Jahre lang hat er sich in seinem privaten Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) Bonn vor allem den Themen Alterung und Staatsverschuldung gewidmet. Als einer der Ersten in Deutschland hat der Sozialforscher auf die unausweichlichen Folgen des demographischen Wandels für die Sozialsysteme aufmerksam gemacht. Ende 2007 dann sah er seine Aufgabe als erfüllt an - tatsächlich dürfte das Problem inzwischen nahezu jedermann bewusst sein. Gemeinsam mit Mitgründer Kurt Biedenkopf, dem langjährigen sächsischen Ministerpräsidenten (CDU), löste er das Institut auf.

Nun hat Miegel die Arbeit seiner daraufhin gegründeten Stiftung "Denkwerk Zukunft" erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Und wieder hat er sich dicke Bretter vorgenommen, denn die Institution, die ebenfalls in Bonn angesiedelt ist, will nach neuen Sinngebern für die Gesellschaft suchen, wenn wirtschaftliches Wachstum keiner mehr sein könne. "Die Vorstellung, dass Wachstum der Wirtschaft und die Mehrung materiellen Wohlstands zumindest in den reichen Ländern zum Stillstand kommen könnten, ist vielen Menschen so zuwider, dass sie sich ihr verweigern", sagte Miegel. Er kritisierte, dass auch die neue Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf setze, gesellschaftliche Probleme über Wachstum lösen zu können.

Zur Unterstützung scharte Miegel für die erste Konferenz seiner Stiftung einige Nachhaltigkeitsforscher um sich, die insbesondere die ökologische Dimension des Themas ausleuchteten. Der britische Umweltökonom und Regierungsberater Tim Jackson hatte sich unter anderem durch den jüngst vorgelegten Regierungsbericht "Prosperity without growth" (Wohlstand ohne Wachstum) qualifiziert. In einem Brief an die britische Königin hatte er überdies die Fokussierung auf das Wachstum als Ursache der aktuellen Finanzkrise identifiziert. Jackson sprach von einem "tiefgreifenden Dilemma": eine wachsende Wirtschaft könne langfristig nicht mit einem nachhaltigen Ressourceneinsatz einhergehen; Schrumpfen sei aber keine Alternative, weil ansonsten bei steigender Produktivität zunehmender Druck auf den Arbeitsmarkt ausgeübt werde.

Wie schwierig es werden könnte, das politische Versprechen einzulösen, Wachstum und Umweltverbrauch zu entkoppeln, illustrierte Jackson anhand des Treibhausgasausstoßes. Aktuell würden 768 Gramm Kohlendioxid je Dollar Produktionseinheit verbraucht, im Jahr 2050 dürften es nur noch 6 Gramm sein, um das Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Dies wäre eine Effizienzsteigerung um den Faktor 130. Seiner Kalkulation liegt die Annahme zugrunde, dass bis dahin die Weltwirtschaft jährlich um 2 Prozent und die Bevölkerung von 6,5 auf 9 Milliarden Menschen wächst.

"Der Klimawandel oder die Wasserknappheit sind nur Symptome. Das Problem ist das physische Wachstum", sagte der amerikanische Systemanalytiker Dennis Meadows. Vor 37 Jahren hatte er mit seinem Bericht an den Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" viel Aufmerksamkeit ausgelöst. Darin hatte seine Forschergruppe anhand von Computermodellen die Folgen von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum skizziert. In der Mehrzahl der vorgestellten Szenarien kam es zwischen 2010 und 2050 zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch.

"Weil wir auf diese Trends nicht geachtet haben, haben wir eine Chance verpasst", kritisierte Meadows. Noch während der Erstveröffentlichung sei die ökologische Tragfähigkeit der Erde nicht überschritten gewesen, so dass eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik ausgereicht hätte, um die ökologischen Folgen einzudämmen. Seit Mitte der achtziger Jahre aber sei diese Grenze überschritten. Erst langsam werde das auch in den Industriestaaten erkannt. "Der Klimawandel ist nicht die erste Wachstumsgrenze, aber die erste, die auch die wohlhabenden Länder bedroht", sagte Meadows.

Wegen solcher ökologischer Grenzen bestehe keine Wahlmöglichkeit mehr, welcher Pfad einzuschlagen sei, schlussfolgerte Meinhard Miegel. Die Arbeit seiner Stiftung sieht er darin, einer Enttäuschung der Bevölkerung vorzubeugen, wenn sich die Erkenntnis durchsetze, "dass die Gleichung ,Hohes Wachstum ist Erfolg' nicht mehr funktioniert". Mit seinen Referenten teilte er die Hoffnung, dass es zu einer wachsenden Ausrichtung auf immateriellen Konsum und einer Expansion sozialer Tätigkeiten komme. Nachhaltigkeitsökonom Tim Jackson rief zudem dazu auf, für alle Umweltgüter feste Konsumgrenzen einzuziehen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.12.2009, Nr. 286, S. 12

Beitrag von Philipp Krohn

 

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