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Das sind Taschenspielertricks

Aufschwung auf Pump? Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel warnt angesichts der Wirtschaftskrise vor einer ins Gigantische wachsenden Staatsverschuldung. Schon jetzt sei die Schuldenlast kaum noch abzutragen, sagt der ehemalige Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn.


Hessische Allgemeine: Der Bund muss wegen der Wirtschaftskrise deutlich mehr Kredite aufnehmen als bisher geplant. Wie stark wird die Staatsverschuldung steigen?

Meinhard Miegel: Ich bin kein Konjunkturforscher und möchte mich an solchen Prognosen nicht beteiligen. Überhaupt wäre es besser, wenn auch andere bei solchen Fragen den Mund hielten. Die Konjunkturforscher schwanken in ihren Wachstumsprognosen zwischen -1 und -4 Prozent, aber in Wirklichkeit sind solche Aussagen kaum mehr als Kaffeesatzleserei. In der gegenwärtigen Situation bleibt Politik und Wirtschaft nichts anderes übrig, als auf Sicht zu steuern. 

Hessische Allgemeine: Die Regierung bereitet ein zweites Konjunkturpaket vor, um die Rezession abzumildern. Werden die geplanten Investitionen greifen?

Meinhard Miegel: Ich bin sehr skeptisch, ob dies der richtige Weg ist. Konjunkturprogramme bringen so gut wie keinen Erfolg. Der Staat wird viel Geld ausgeben und seine Verschuldung weiter erhöhen, obwohl bereits jetzt jedes Jahr über 80 Milliarden Euro an Schuldzinsen zu zahlen sind. Es wäre das gigantischste Konjunk-turprogramm aller Zeiten, wenn der Staat diese 80 Milliarden nicht für Zinsen ausgeben müsste.

Hessische Allgemeine: Viele Wirtschaftsforscher halten jedoch eine deutlich höhere Verschuldung für gerechtfertigt, um durch gezielte Investitionen gegen die Rezession anzukämpfen.

Meinhard Miegel: Ich weiß, dass viele Kollegen diese Position vertreten. Die Frage ist aber: Was kommt am Ende dabei heraus? Der Staat wird Straßen bauen und irgendwelche Investitionen vorziehen. Doch in einer Volks-wirtschaft, die ein Gesamtvolumen von 2,5 Billionen Euro hat, wird das nicht viel bewirken. Die Effekte solcher Konjunkturprogramme sind kaum spürbar, die Erhöhung der Staatsverschuldung hingegen schon.
 
Hessische Allgemeine: Sehen Sie noch Spielraum für Steuersenkungen? Und hätten diese überhaupt einen Effekt?
 
Meinhard Miegel: Wenn die Menschen mehr in der Tasche haben, gibt es sicher Effekte. Aber entscheidend ist die Frage nach den Spielräumen: Solange der Staat bei seinen Bürgern Schulden machen muss, hat er offensicht-lich keinen Raum für Steuersenkungen. Da sollte man auch den Steuerzahlern reinen Wein einschenken: Man kann nicht einerseits eine höhere Neuverschuldung ankündigen und den Bürgern damit Geld aus der Tasche ziehen, aber gleichzeitig den Eindruck erwecken, als erhielten die Bürger durch Steuersenkungen Geld zurück. Das sind Taschenspielertricks.

Hessische Allgemeine: Bisher galt in der Koalition die Linie, der Staat dürfe nicht länger auf Kosten der Kinder leben. Was be-deutet die explodierende Staatsverschuldung für künftige Generationen?

Meinhard Miegel: Die Gestaltungsspielräume künftiger Generationen werden noch enger als sie es bisher schon sind. Die Zinslast wird weiter steigen, die Politik immer handlungsunfähiger. Das betrifft nicht erst unsere Kinder, das betrifft auch uns.

Hessische Allgemeine: Theoretische Frage: Wie lange würde es brauchen, bis die Schuldenlast des Staates abgetragen ist?

Meinhard Miegel: Die Hoffnung, dass der Schuldenberg jemals abgetragen wird, ist leider illusorisch. Wir haben ja schon jetzt größte Mühe, die Zinsen aufzubringen, um die Kredite zu bedienen. Es gab in den letzten 40 Jahren praktisch keine Verminderung der Schuldenlast, nur in einem einzigen Jahr sind die Altschulden gering-fügig zurückgefahren worden, sonst ist die Verschuldung immer nur gestiegen.

Hessische Allgemeine: Die Bundesregierung hatte für das Jahr 2011 erstmals einen Haushalt ohne neue Schulden angepeilt. Wird dieses Ziel auf den Nimmerleinstag verschoben?

Meinhard Miegel: Wir müssen unterscheiden zwischen dem Stopp der Neuverschuldung und dem Abtragen bestehender Altschulden. Die Große Koalition wollte lediglich die Aufnahme neuer Schulden stoppen, nicht die Alt-schulden abtragen. Dieses Ziel wird nun verschoben, vermutlich auf das Jahr 2015 oder 2016. Niemand kann heute seriös sagen, was in der Zwischenzeit passieren wird. Was den Abbau der Altschulden be-trifft, sehe ich selbst im nächsten und übernächsten Jahrzehnt keine Perspektive. Das ist eine deprimie-rende Situation.

Hessische Allgemeine, 22. Dezember 2008

Interview: Holger Eichele