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Diese Politik hat in eine Sackgasse geführt

Angesichts der sich zuspitzenden europäischen Schuldenkrise sieht der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Meinhard Miegel keinen Grund, den Euro in seiner gegenwärtigen Gestalt zu retten. Für absehbare Zeit brauche der heutige Euroraum ein nord- und eine südalpine Währung, sagt Miegel im Interview.

Leipziger Volkszeitung: Sie warnen seit langem davor, dass das Wirtschaftswachstum zu Ende gehen wird und auch der jüngste Boom hauptsächlich auf Schulden beruht. Fühlen Sie sich angesichts der derzeitigen Krise bestätigt?
Meinhard Miegel: Ja. Seit Ende der 70er Jahre sind die Abschwünge länger und tiefer als die Aufschwünge. Und damit die Abschwünge nicht noch tiefer werden, hat man eine gewaltige Schuldenpolitik initiiert, unter der wir jetzt zusätzlich leiden.

Leipziger Volkszeitung: Wie aber kann diese Krise ohne neues Wachstum, das auch wieder Steuereinnahmen generiert, gemeistert werden?
Meinhard Miegel: Diese Debatte wird seit Jahrzehnten geführt. Schon 1978 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der damals wichtigsten Industrienationen und beschlossen, das aus ihrer Sicht zu geringe Wachstum durch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme anzukurbeln. Dabei ist es dann geblieben. Die heutige Staatsschuldenkrise beginnt damals, vor mehr als 30 Jahren. Inzwischen ist klar: Diese Politik hat in eine Sackgasse geführt und es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, warum ausgerechnet dieses Mal die Ergebnisse besser sein sollen.

Leipziger Volkszeitung: Wie kann eine Lösung stattdessen aussehen?
Meinhard Miegel: Staat und Gesellschaft müssen sich mit dem einrichten, was sie ordentlich, das heißt ohne Verschuldung, erwirtschaften. Und das ist im historischen und auch im internationalen Vergleich viel. Unser Lebensstandard ist hoch, aber wir werden ihn nicht immer weiter steigern können. Mittelfristig wird er sogar sinken, aber auch dann noch auskömmlich sein.

Leipziger Volkszeitung: Das heißt aber auch, dass bestimmte Ausgaben wegfallen müssen. Welche?
Meinhard Miegel: Es wäre schon viel gewonnen, wenn pure Vergeudung zurückgedrängt würde. Dabei handelt es sich in einem Land wie Deutschland um hohe Milliarden-Beträge, wie ein Blick in die Berichte der Rechnungshöfe oder des Bundes der Steuerzahler zeigt. Und in anderen Ländern ist das mitunter noch extremer. Selbst in solchen, die wie Griechenland hoch verschuldet sind.

Leipziger Volkszeitung: Halten Sie die europäischen Rettungsschirme auch für Vergeudung?
Meinhard Miegel: Ich halte sie für nicht zielführend. Es gibt sicher Notsituationen, in denen auch Dinge getan werden müssen, von denen man weiß, dass sie weder der reinen Lehre entsprechen noch auf Dauer aufrecht erhalten werden können. Aber die Politik tut jetzt so, als könne sie durch permanente Ausweitung der Rettungsschirme das Problem des Euro lösen. Das aber wird nicht möglich sein. Denn der Euro leidet seit Anbeginn unter einer fundamentalen Schwäche, weil zwei sehr unterschiedliche Wirtschaftskulturen zusammen gespannt worden sind, die nord- und die südalpine. Und das kann nicht funktionieren.

Leipziger Volkszeitung: Das heißt, auch so etwas wie ein Marshall-Plan für Griechenland hilft nicht weiter?
Meinhard Miegel: Den Marshall-Plan für Griechenland gibt es doch bereits. Seit einer ganzen Reihe von Jahren werden im Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds Milliardenbeträge dorthin gegeben. Nur ist in Griechenland mit dem Geld wenig geschehen. Ich fürchte, ein neuer Marshall-Plan wird hieran nicht viel ändern.

Leipziger Volkszeitung: Muss es also eine Insolvenz des Landes geben?
Meinhard Miegel: Voraussichtlich ja. Aber auch das ist nur ein Schritt. Entscheidend ist, jetzt das Ziel zu definieren. Und dieses Ziel ist, den kardinalen Fehler, der zu Beginn der Währungsunion gemacht worden ist, zu revidieren. Konkret: Für absehbare Zeit braucht der heutige Euroraum zwei Währungen - eine nord- und eine südalpine. Länder, die sich in keinen dieser Währungsräume einbinden lassen wollen, sollen ihre eigenen Wege gehen. Allerdings halte ich letzteres für wenig vernünftig.

Leipziger Volkszeitung: Der Euro und seine Gemeinschaft müssen also nicht gerettet werden?
Meinhard Miegel: Es gibt keinen zwingenden Grund, den Euro in seiner gegenwärtigen Gestalt zu retten. Das heißt nicht, dass man zu nationalen Währungen zurückkehren sollte. Ein Rückkehr zur D-Mark wäre anachronistisch.

Leipziger Volkszeitung: Würde dies die anderen Länder nicht zurückwerfen und auch Deutschland, das vom Handel mit ihnen profitiert?
Meinhard Miegel: Schlimmer als jetzt können sie kaum zurückgeworfen werden. Im Übrigen ist es nur dann sinnvoll zu exportieren, wenn die Güter auch ehrlich bezahlt werden. Welchen Sinn hat es denn, Waren in ein Land wie Griechenland zu schicken, wenn das Geld gleich mitgeschickt werden muss?

Leipziger Volkszeitung: Die Krise spitzt sich derzeit zu. Griechenland kann bestimmte Sparziele nicht einhalten, es gibt Unsicherheiten gegenüber den Banken. Muss es jetzt schnell Entscheidungen geben, um für Ruhe zu sorgen?
Meinhard Miegel: So oder so wird Ruhe nicht so bald einkehren. Wir stehen vor einer längeren Phase beträchtlicher Turbulenzen. Denn der berühmte Hieb durch den gordischen Knoten ist nicht möglich. Ein noch größerer Rettungsschirm ist gänzlich irreal. Da werden die Märkte schnell sagen, ihr könnt Beschlüsse fassen, wie ihr wollt, sie beinhalten doch nichts.

Leipziger Volkszeitung: Wird es im Fall Griechenland zunächst zu einem Schuldenschnitt kommen?
Meinhard Miegel: Ja. Doch wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass mit einem solchen Schuldenschnitt alles gut wird. Das ist nur eine weitere Notmaßnahme. Deshalb muss umgehend geklärt werden, wohin die Reise letztendlich gehen soll.

Leipziger Volkszeitung: Heißt das auch, dass die Folgen, zum Beispiel eine neue Bankenkrise, ausgehalten werden müssen?
Meinhard Miegel: Leider ja. Eine Reihe von Banken wird wiederum mit Mitteln der Steuerzahler gestützt werden müssen. Das ist der Preis für die Versäumnisse der Politik, den Banken- und Finanzbereich nach der Lehmann-Pleite angemessen zu ordnen. Dies muss jetzt nachgeholt werden.

Interview: Sabine Schanzmann-Wey

(erschienen in der Leipziger Volkszeitung, 7. Oktober 2011, S. 7)