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Die Wachstumseuphorie am Ende?

von Sigrid Schuer

Wirtschaftsexperte Meinhard Miegel zeigt unbequeme Perspektiven auf
"Schluss mit der Wachstums- und Wohlstands-Gaukelei! Wenn wir weiter nach der Devise leben: 'Ohne Wachstum ist alles nichts', wird unsere Gesellschaft handlungsunfähig", redete Professor Meinhard Miegel als Gast des Internationalen Kulturforums des Theaters Bremen Tacheles. Am Goetheplatz plädierte er "Für eine zukunftsfähigere Kultur", so der Titel seines Vortrags.

Miegel forderte eine umfassende Erneuerung der westlichen Kultur, die bisher voll und ganz auf das Glücks- und Heilsversprechen der Mehrung des materiellen Wachstums ausgerichtet gewesen sein. "In den USA und in Großbritannien hat man durch massive Verschuldung ein künstliches Wirtschafts-Wachstum erzeugt", mit den bekannten Konsequenzen, so der promovierte Jurist. Noch nie zuvor sei die Ware Geld von den produzierten Gütern so abgekoppelt gewesen. Als a-typisch und einmal bezeichnete er die Verfünffachung des Wirtschaftswachstums zwischen 1950 und 1990 und den draus resultierenden Ausbau der Sozialsysteme. "In den letzten dreißig Jahren hat sich die globale Geld-Menge vervierzig-facht, die Güter-Menge hat sich lediglich vervierfacht", so Miegel, der sich nicht als Wachstums-Pessimisten sieht.

Miegel mahnte: "In einer endlichen Welt kann es kein unendliches Wachstum geben!" Die alleinige Ausreichung auf die kompromisslose Wachstums-Gläubigkeit seitens der Politik, die der Bevölkerung sugge-riere: "Es wird schon irgendwie wie bisher weitergehen", bezeichnete er als unverantwortlich. Die Gesellschaft werde nicht zum dringend erforderlichen Nach- und Umdenken stimuliert. Die Botschaft an die nächste Generation müsse lauten: "Nehmt uns nicht als Vorbild! Erwartet nicht, dass ihr das gleiche Leben leben könnt wie wir!" Miegel warnte vor der rigiden Ökonomisierung aller Lebensbereiche wie Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport: "Familien passen nicht in die Welt extremer ökonomischer Expansion!" Geld dürfe nicht als alleiniger Problemlöser instrumentalisiert werden. Heute werde bereits viel Geld dafür ausgegeben, um Defizite zu kompensieren, die es ohne den Tanz um das goldene Kalb gar nicht gäbe.

"Allein die Professuren der geisteswissenschaftlichen Fakultäten sind in den letzten Jahren zum 12 Prozent zu Gunsten der praktischen Fächer zurückgefahren worden. Fantasie und Spiritualität, an der es momentan in allen Lebensbereichen mangelt, sind aber die Grundvoraussetzung, um Wege aus der Krise zu dienen", mahnt der Wirtschaftsexperte die Rückbesinnung auf immaterielle Werte wie die schönen Künste an. Sein Appell: Wir müssen jetzt die Chancen zur Konsolidierung nutzen."

Weser-Kurier, 1. November 2008