Zeit zu handeln


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Unterlassen wird zur Aufgabe der Politik

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Manfred Linz vergrößern

Darin besteht Einigkeit - in der Wissenschaft, in der Bundesregierung wie bei den großen Energiekonzernen: Bis 2050 muss in Deutschland die Energieversorgung wenigstens zu 80 % ohne die Emission von Treibhausgasen gelingen. Kein Problem? In den letzten drei Jahren sind nicht weniger als 15 Szenarien veröffentlicht worden, die dieses Ziel für erreichbar erklären, und zwar so, dass am heutigen Lebensstandard und am gewohnten Lebensstil nahezu keine Einbußen zu erwarten sind. Wirtschaftswachstum bleibt möglich, wird sogar stimuliert, neue Arbeitsplätze entstehen. Alle Szenarien setzen auf eine gewaltige Steigerung der Energie-Produktivität und auf die volle Durchsetzung der erneuerbaren Energien.

Die neuen Technologien also sollen es richten, und kein Zweifel, wir brauchen sie dringend. Der Systemwechsel ist unumgänglich, er muss gelingen, und er kann auch, wie die Szenarien zeigen, zu großen Teilen gelingen. Nur: Sie alle (mit einer Ausnahme) sind von einer irritierenden Zuversicht geprägt. Sie zeigen ein ungestörtes Vertrauen in das Gelingen einer technologischen Revolution. Aber was geschieht, wenn die idealen Annahmen der Szenarien auf die Erfahrungen treffen, die die gesellschaftliche Wirklichkeit und die faktische Politik bereithalten, kurz, wenn sie auf die Realitätsnähe ihrer Positionen hin geprüft werden?

Dann entstehen starke Zweifel, was die Finanzierung, was das plangemäße technische Gelingen so komplexer Systeme und erst recht, was die politische Durchsetzung in nur vier Jahrzehnten angeht. Mit Technologie allein wird Deutschland ein gutes Stück vorankommen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach das so dringend erforderliche Klimaziel nicht erreichen. Soll das gelingen, müssen Energie-Effizienz und Erneuerbare Energien durch einen substantiellen Minderverbrauch von Energie ergänzt werden, also nicht nur durch relative sondern durch absolute Verbrauchsminderungen.

Das zu erreichen ist Aufgabe der Politik, weil der erhoffte kulturelle Wandel unsicher ist und in jedem Fall zu viel Zeit braucht. Eine Politik der Energie-Suffizienz, für geminderten Energiebedarf also, wird sich u.a. auf Bauen und Wohnen, auf Verkehr und Ernährung richten. Sie wird Anreize und Belastungen einsetzen, sie wird Steuern und Ordnungsrecht anwenden. Das scheint gegenwärtig so gar nicht opportun zu sein. Ein aufgeklärter Eigennutz wird sich jedoch nicht von einer Situation kurzlebiger Aufschwünge blenden lassen sondern jetzt über das schon bald Notwendige nachdenken. Und notwendig wird sein, nicht nur zu handeln sondern auch zu unterlassen. Oder andersherum: Das Unterlassen wird zu einem unentbehrlichen Teil des Handeln werden.

Dr. Manfred Linz ist Theologe, Sozialwissenschaftler und freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, Berlin