Zeit zu handeln


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Postwachstumsökonomie als Frage des Lebensstils

Zwischenruf von Niko Paech

 

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Die Befürworter „grüner" oder „qualitativer" Wachstumsideen geraten angesichts ihrer ewiggestrigen Fortschrittsgläubigkeit in die Defensive. Weder empirisch noch theoretisch lässt sich plausibel darlegen, wie es kraft entsprechender Innovationen je gelingen könnte, ausufernde Ansprüche an Mobilität und materielle Selbstverwirklichung von ökologischen Schäden, geschweige denn Ressourcenverbräuchen zu entkoppeln. Viele der vermeintlich nachhaltige(re)n Versorgungsstrukturen und Produkte verursachen systematisch mehr Schäden als sie vermeiden. Obendrein werden punktuelle Ökologisierungs- und Effizienzfortschritte durch wachsende Nachfrage überkompensiert.

Die Konsequenzen dieser Einsicht reichen weiter, als manche derjenigen erahnen, die jetzt eiligst auf den wachstumskritischen Zug aufspringen: Jenseits der gescheiterten Entkopplungslogik existieren nämlich keine per se nachhaltigen Produkte und Technologien, sondern nur nachhaltige Lebensstile. Was nützt es, ein Passivhaus zu bewohnen, Ökostrom zu beziehen, Bionade zu trinken etc., wenn derlei Dinge erstens das Resultat zusätzlicher Produktion sind und zweitens über das hinweg täuschen (sollen), was dasselbe Individuum ansonsten praktiziert? 2010 hat der Flugverkehr in Deutschland trotz Vulkanasche und letzter Ausläufer der Finanzkrise einen neuen Rekord erzielt. Der Bionade- und Ökostromumsatz wohl auch. Folglich lässt sich Nachhaltigkeit nur auf Basis individueller Ökobilanzen bemessen. Gemäß dem 2-Grad-Klimaschutzziel stünden jedem Erdbewohner pro Jahr 2,7 Tonnen an CO2 zu. Die eigene CO2-Bilanz zu ermitteln ist längst ein Kinderspiel. Jede Nachhaltigkeitskommunikation und -politik, die sich daran vorbei mogelt, ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich: Sie zementiert die  Schizophrenie einer Gesellschaft, deren Nachhaltigkeitsziele nie lauter bekundet wurden und deren Lebensstile sich nie weiter davon entfernt haben.

Niko Paech ist Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt (PUM) an der Universität Oldenburg