Weniger Krisengeschrei.
Selbst Wandlungen gestalten
Zwischenruf von Heike Kahl
Das deutsche Bildungssystem befindet sich in der Krise. Das wissen wir. Seit langem. Neue Befunde bestätigen die alten. Die Kommentare werden drastischer. Das Bildungssystem werde in ein paar Jahren vollständig kollabieren. Reformen werden als gescheitert bezeichnet. Philosophen untermauern den Befund.
Und ja, es liegt viel im Argen. So ist es nicht akzeptabel, dass Bildungserfolg immer noch vom sozialen Status der Eltern abhängt. Aber es ist auch viel in Bewegung, zum Beispiel bei Ganztagsschulen. Doch Reformen müssen täglich im lebendigen System erfolgen. Da hat man nicht nur Verantwortung für die Revolution, sondern auch für alle, die im System sind, zuerst für die Kinder und die Pädagogen.
Veränderungen in der Bildung finden nicht eruptiv statt. Wir lähmen uns selbst, wenn Erreichtes klein geredet und stattdessen die Krise beschworen wird. Teilerfolge gelten in Deutschland nichts. Statt uns gegenseitig Scheitern vorzuwerfen, sollten wir beginnen, Metaphern zu entkleiden, weil sie schnell zu Legitimationsfassaden werden, wie: kein Kind zurücklassen oder Kinder sind unsere Zukunft. Stattdessen kann jeder im Konkreten seiner eigenen Verantwortung gerecht werden. Mit einem Verständnis von Kooperation, das dialogisch ist und nicht nur emphatisch; bei dem die Kunst des Zuhörens selbstverständlich ist und die Position des Partners genauso ernst genommen wird wie die eigene, bei dem Vertrauen das Grundgefühl ist, und das keine Macht braucht, die die Spielregeln vorgibt, weil man in der Lage ist, gemeinsam das Richtige und Machbare zu tun.
Natürlich müssen alle Anstrengungen auch auf die Reform des Gesamtsystems gerichtet sein. Aber auf das perfekte System zu warten bedeutet, sich der eigenen Handlungsfähigkeit zu berauben und letztlich das Alte zu legitimieren.
Dr. Heike Kahl ist Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gGmbH, Berlin.