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Der Sport - ein Wirtschaftsparadies außer Kontrolle

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Zwischenruf von Thomas Kistner

Der Spitzensport steckt dort, wo er hingehört: Tief in der Glaubwürdigkeitskrise. Erst die globale Debatte um den Korruptionsverdacht bei der Vergabe der Fußball-WM an Russland und Katar, dann die amüsante Selbstreinigungs-Simulation des Weltverbandes Fifa. Nun die Dopingkultur in Russland, wo die Mittäterschaft der Kontroll- und Analyse-Instanzen sowie die politische Absicherung bis in die Staatsspitze zutage treten. Dass der Betrug Sport-immanent ist, zeigen die Bezüge der Affäre weit über Russlands Grenzen hinaus. Der Sport ist ein geschlossenes System, die Funktionäre verstehen sich als Familie, sizilianische Assoziationen drängen sich auf - denn auch die internen Kontrollinstanzen mauscheln mit. Deshalb fürchtet der Sports nichts mehr als das, was er seit Jahrzehnten bekämpft: Den Eingriff staatlicher Autoritäten. Sieht man die ethische Verkommenheit, die dank der am Sporterfolg beteiligten Medien vor dem Publikum verschleiert wird, steht außer Frage, dass die Muskelmesse auf die Wand zusteuert.

Es bräuchte externe Kontrolle. Die aber setzt die Aufhebung jener absurden Autonomie voraus, die der Sport seit Turnvater Jahns Zeiten genießt, und die heute die dunklen Geschäfte im größten Zweig der globalen Unterhaltungsindustrie absichert. Politiker scheuen sich nach wie vor, dem Sport samt seiner Strahlkraft Paroli zu bieten. Doch wächst beim Publikum die Ahnung, verschaukelt und gemolken zu werden. Das belegt die überwältigende Skepsis im Hinblick auf die Austragung sportlicher Großevents. Von Deutschland bis Norwegen sagten die Bürger bereits Nein zu Olympischen Spielen. Wohlgemerkt: Nicht zum Sport und den Athleten, sondern zu der Nassauer-Karawane der Funktionäre, die nicht länger mit Steuergeldern alimentiert, sondern dringend gestoppt gehört. 

Thomas Kistner ist Redakteur für Sportpolitik bei der Süddeutschen Zeitung.