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Fortschritt - MH 370 - NSA

Zwischenruf von Rolf Kreibich

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Rolf Kreibich vergrößern

Wunderbare neue Welt! Offenbar hat der technische Fortschritt die meisten in Politik, Wirtschaft, Administration, Wissenschaft und Bildung so berauscht, dass sie selbst gegenüber der steigenden Wahrscheinlichkeit menschlichen Suizids blind geworden sind. Wie irrational die Vorstellung ist, dass wir die wissenschaftlich-technischen Systeme trotz deren ständig zunehmender Komplexität im Griff haben, beweisen nahezu täglich Beispiele: Mathias Rust unterflog 1987 die weltweit dichteste Grenze und das scheinbar unüberwindliche Radarsystem der Sowjetunion ("Eiserner Vorhang") und landete mit seiner kleinen Cessna auf dem Roten Platz in Moskau. Einige Kilogramm Plutonium aus Kernkraftanlagen würden ausreichen, ganze Erdteile zu verseuchen. Die primär auf Wachstum getrimmte Ökonomie der Industrie- und Schwellenländer lässt die Treibhausgase, den Ressourcenverbrauch und die damit einhergehenden Ökokatastrophen weiterhin fast ungebremst mitwachsen. Das spurlose Verschwinden von MH 370 ist wiederum Ausfluss des Irrglaubens, dass wir die Dinge im Griff haben. Warum wundert sich kaum jemand, dass die NSA jeden Schritt und jede Kommunikation jeden Bürgers aufzeichnet, aber nicht in der Lage ist, ein riesiges Objekt mit 239 Passieren an Bord auf einer begrenzten Erdoberfläche zu finden? Das ist der Fluch hyperkomplexer Systeme und Institutionen: sie lassen sich durch einfache Störungen aus dem Gleichgewicht bringen - bis zur Selbstvernichtung. Auch die Stasi ist letztlich an ihrer gigantomanen Schnüffelsucht zugrunde gegangen.

Prof. Dr. Rolf Kreibich, ehem. Ehrenpräsident des Instituts für Zukunftsforschung und Technologiebewertung (IZT), Berlin