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Reduktive Moderne als europäisches Projekt

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Zwischenruf von Andrè Reichel

Mit dem Wahlsieg von Alexis Tsipras in Griechenland scheint das imaginative Element in die europäische Politik zurückzukehren. Anstelle technokratischer Lösungen eines sich alternativlos gebärdenden neoliberalen Konsenses, stehen sich jetzt Austeritätspolitik und Neokeynesianismus unvermittelt auf Regierungsebene gegenüber.

Beide vermeintlichen Alternativen sind aber lediglich die bekannten Antagonisten zur Erreichung desselben Ziels: Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Sparen oder mehr konsumieren erscheint mir aber ein wenig dürftig als Grundlage für die "Hoffnung", wie Tsipras im Wahlkampf meinte, die jetzt über Europa kommen soll. Wenn das Wohl und Wehe unseres Kontinents weiterhin eine abhängige Variable seines schwindenden Wirtschaftswachstums ist, kann es mit der Imagination nicht so weit her sein.

Anstatt auf das alte Fortschrittsmodell des Ökonomismus und seiner unfruchtbaren antagonistischen Auseinandersetzungen zu setzen, bietet sich für Europa doch eine ungleich größere Chance: die Erfindung einer reduktiven Moderne jenseits des Wachstumsglaubens. Wenn die Wachstumsaussichten sich global eingetrübt haben, sich weder das ökologische Problem des Klimawandels noch die soziale Frage der interregionalen und intergenerationalen Gerechtigkeit lösen lassen, dann wäre dies eine Aufgabe für den alten Kontinent, die ungeheure imaginativen Kräfte freisetzt. Nach 500 Jahren expansiver Moderne endlich ein neues Europa - man wird noch einmal träumen dürfen.

André Reichel ist Professor für Critical Management und Sustainable Development an der Karlshochschule International University in Karlsruhe.