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Ach, Europa!

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Zwischenruf von Ulrich Grober

Die globalen Medien verbreiten seit einiger Zeit ein zutiefst beunruhigendes Narrativ. Es handelt von den „emerging markets" und den „declining regions". In dieser Erzählung erscheint das „alte Europa" als ein erschöpfter Kontinent. Ein Kontinent ohne Zukunft, der sich in seine „provinzielle Neurose zurückzieht" (Pankraj Mishra). Während andere Regionen des Globus als vibrierende, dynamische Hotspots von Wachstum und Fortschritt glänzen: weltoffen, selbstbewusst, optimistisch. Was ist so verstörend an diesem Narrativ?

Es reduziert die Kulturen der Welt - alle - auf ihr Potential, das Niveau von Massenproduktion und Massenkonsum zu heben, militärische Stärke auszubauen und eine hohe Geburtenrate aufrechtzuerhalten. Es bindet eine Vision von Zukunft an ein Paradigma, das obsolet ist - an ein Auslaufmodell. Dieses Narrativ ist nach meiner Auffassung beleidigend. Und zwar für alle. Für die Menschen in den „declining" als auch für die in den „emerging" Regionen. Dieser Rückfall in die Geopolitik ist zudem brandgefährlich

Aber was ist die Antwort Europas? Soweit ich sehen kann, klafft hier ein Vakuum. Niemand bietet diesem Narrativ die Stirn. Hilflos beteuert Brüssel, dass Europa doch seine „Hausaufgaben mache", Wachstum, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit ankurbele, um bald wieder im großen Spiel der „global player" mitmischen zu können. Es gibt keine Alternative. Wirklich nicht?

Eine gemeinsam geteilte Vision von Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit und Konvivialität ist tief in unserem kulturellen Erbe angelegt. Heute wächst und blüht sie in unzähligen Hotspots eines ergrünenden Europa. Wir wären gut beraten, die Idee von „sustainability" in die Mitte eines neuen europäischen Narrativs zu heben und als unsere „soft power" zu kommunizieren.  Das 21. Jahrhundert ist und bleibt eine Epoche der „Erdpolitik".

Ulrich Grober ist freier Journalist, Publizist und Autor im Bereich Nachhaltigkeit.