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Wo bitte geht es nach Europa? - Annäherung an eine Idee

Europa, hierüber besteht heute weitgehend Konsens, ist weniger eine geografische oder politische als vielmehr eine ideelle Größe, die sich über lange Zeit allmählich herausgebildet hat: die Idee Europa. Konstitutiv für diese Idee sind in erster Linie kulturelle Gemeinsamkeiten, die ihrerseits auf bestimmten Wertvorstellungen gründen. Zu diesen zählen ein Menschenbild, bei dem jedem Einzelnen Würde und Rechte zukommen, Freiheit und Gleichheit, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit, Selbstbestimmung und Toleranz, Einheit in Vielfalt wie auch umgekehrt Vielfalt in Einheit sowie Religions- und Meinungsfreiheit eng verbunden mit der Trennung von Staat und Kirche.

Dabei zeigt bereits diese exemplarische Aufzählung, dass es sich die Europäer mit ihren Werten nicht leicht gemacht haben. Nicht wenige wie Freiheit und Gleichheit oder Vielfalt und Einheit stehen in manifestem oder zumindest latentem Widerspruch zueinander, was oft genug zu ernsten Konflikten geführt hat und weiter führt. Dies gilt umso mehr als die Europäer für ihre Werte Universalität beanspruchen, ein Anspruch, den sie allerdings selbst nur bedingt einlösen.

Ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage dieser Tage ist ein Beleg hierfür. Innerhalb kurzer Zeit offenbarte sie die Brüchigkeit des europäischen Wertekanons. Menschenwürde, Menschenrechte, Solidarität oder Toleranz mutierten bereits unter geringer Belastung zu bloßen Lippenbekenntnissen. Die ideelle Fundierung und zugleich Überhöhung, die die Europäer ihrem Handeln zuschreiben, erwiesen sich als wenig tragfähig.

Was aber bedeutet das für ein Europa, das selbst nur eine Idee ist und auf Ideellem gründet? Diese Frage stellt sich immer wieder neu, wenn auch in jüngerer Zeit mit zunehmender Schärfe. Schon heißt es, der ökonomisch-technische Universalismus habe das Erbe Europas ausgelöscht oder zumindest sei dieser Kontinent durch den globalen Kapitalismus ideell ausgehöhlt worden. Was aber wird aus der Idee Europa, wenn sich ihre konstitutiven Elemente verflüchtigen und am Ende nicht viel mehr bleibt als ein buntes Staaten- und Völkergemisch und vielleicht noch ein ökonomischer Zweckverein?

Diese Sorge sei unbegründet, meinen andere. Europa sei nicht nur stark, sondern in vielen Bereichen sogar nach wie vor tonangebend. Die Sorge um Europa erwachse aus einer unzulässigen Vermengung der Idee mit unterschiedlichen staatlichen Organisationsformen, vom klassischen Nationalstaat bis hin zum Staatenbund, namentlich der Europäischen Union und hier wiederum der Eurogruppe. Diese Organisationsformen schwächelten, so die Entwarnung, nicht die Idee Europa.

Wie immer dieser breit verästelte Meinungsstreit weitergeht: Die Europäer müssen sich - wieder einmal - ihres Europas versichern. Möglicherweise stellt sich dabei heraus, dass es die Idee Europa in der Tat nicht mehr gibt. Das hätte weitreichende Folgen und würde einen Großteil der derzeitigen Politik hinfällig werden lassen. Vor allem wäre zu klären, was dann noch Europa konstituieren könnte. Oder es wird deutlich, dass die Idee Europa unverändert vital ist und nur unzulässig befrachtet worden ist mit Zwecksetzungen, die ihr nicht gemäß sind, zum Beispiel einseitigen wirtschaftlichen Vorgaben. Dann wäre ein Konzept zu entwickeln, wie Europa von diesen nicht sachgemäßen Zwecksetzungen entfrachtet werden kann.

Über Themen wie diese wurde am 28. Juni 2016 auf dem Symposium "Wo bitte geht es nach Europa? - Annäherung an eine Idee" im Kloster Neustift (Südtirol) gesprochen. Das Symposium wurde von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.

In Zusammenarbeit mit der

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Leitfragen:

  • Was ist das derzeit dominante Verständnis von Europa? 
  • Gibt es eine spezifische europäische Kultur und wodurch unterscheidet sie sich von anderen? 
  • Gibt es unveräußerbare europäische Werte und welche sind das?  
  • Gibt es eine kollektive Identität der Europäer und wodurch zeichnet sie sich aus?  
  • In welchem Verhältnis stehen das christlich geprägte und das säkularisierte Europa zueinander?  
  • Gibt es einen europäischen Traum und soll er gegebenenfalls aktiviert werden? Was hieße das für Gesellschaft und Politik?  
  • Was ist unter einer europäischen Wertegemeinschaft zu verstehen?  
  • Lässt sich die kulturelle Vielfalt Europas angesichts der gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen (Demografie, Ökologie und ähnliches) erhalten und wenn ja, wie?  
  • Ist Vielfalt für Europas Identität konstitutiv?  
  • Was erwartet die Welt von Europa und kann bzw. soll Europa diese Erwartungen erfüllen?  
  • Was erwarten die Europäer von sich selbst?