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Warum der Flüchtlingsstrom nach Europa anhalten wird

In den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden in Europa etwa 700.000 Asylbewerber registriert. Davon könnten nach Angaben der OECD 350.000 bis 450.000 Menschen als Flüchtlinge anerkannt werden. Von den Flüchtlingen, die im ersten Halbjahr 2015 nach Europa zuwanderten, stammte etwa ein Viertel aus Syrien, dem Irak und Eritrea. Im Juni allein stellten diese Länder bereits ein Drittel aller Flüchtlinge. Inzwischen dürfte der Anteil noch höher liegen.

Anhaltende kriegerische Auseinandersetzungen

Der OECD und anderen Organisationen zufolge wird der Flüchtlingszustrom nach Europa anhalten. Ursächlich hierfür sind vor allem der Bürgerkrieg in Syrien, der nicht so schnell beendet werden dürfte, sowie die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) im Irak und durch die Taliban in Regionen Afghanistans und Pakistans. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien haben mehr als 4 Millionen Menschen das Land verlassen. Weitere 7,6 Millionen sind innerhalb des Landes geflohen. Derzeit leben etwa. 2 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei, 1,1 Millionen im Libanon, 630.000 in Jordanien und 130.000 in Ägypten. In der Türkei warten zudem 300.000 Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Pakistan darauf, nach Mittel- und Nordeuropa weiter zu reisen.

Hohe Auswanderungsbereitschaft aus wirtschaftlichen und politischen Gründen

Neben kriegerischen Auseinandersetzungen bringen wirtschaftliche Krisen, politische Instabilität sowie hohe Jugendarbeitslosigkeit die Menschen dazu, ihr Land zu verlassen. Dies gilt vor allem für Menschen aus dem Westbalkan sowie Afrika, insbesondere aus Ländern südlich der Sahara.

Tabelle: Bekundete Zu- bzw.Abwanderungsbereitschaft* in ausgewählten Ländern

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*Die Bereitschaft zur Zuwanderung ist mit einem Pluszeichen, die zur Abwanderung mit einem Minuszeichen gekennzeichnet.

Quelle: Gallup (2015)

 

Wie die Tabelle zeigt, sind in einigen afrikanischen Ländern wie Nigeria, Kongo oder Sierra Leone zwei Fünftel bis fast die Hälfte der Bevölkerung zur Auswanderung bereit. Zwar hat sich - wie die Tabelle weiter zeigt - in den zurückliegenden Jahren die Auswanderungsbereitschaft in manchen Ländern wie Albanien, dem Irak oder Afghanistan verringert. In anderen Ländern dürfte sie hingegen seit dem letzten Erhebungsjahr - 2012 - zugenommen haben.

Wirtschaftliche Bilanz ungeklärt

Wie die wirtschaftliche Bilanz des derzeitigen Flüchtlingszustroms für Deutschland und Europa aussieht, ist ungeklärt. Einerseits verlassen in der Regel weder die Ärmsten noch die Ungebildetsten ihr Heimatland. Andererseits dauert die Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft in der Regel wesentlich länger als die von Migranten, die zu Arbeitszwecken oder im Rahmen des Familienzuzugs nach Europa zuwandern.

Vieles spricht dafür, dass unter den Syrern, die derzeit nach Europa fliehen, der Anteil mit akademischer und beruflicher Ausbildung höher ist als bei vielen anderen Flüchtlingsgruppen. Schwedischen Statistiken zufolge hatten 2014 mehr als 40 Prozent der syrischen Flüchtlinge mindestens einen Sekundarabschluss. Bei afghanischen Flüchtlingen waren es lediglich 20, bei eritreischen sogar nur 10 Prozent. Nach Untersuchungen für Deutschland verfügten 2014 21 Prozent der syrischen Flüchtlinge über einen Universitätsabschluss sowie 22 Prozent über einen Abschluss der Sekundarstufe. 47 Prozent hatten entweder einen Real- oder einen Hauptschulabschluss. Dagegen wiesen von allen Flüchtlingen nur 16 Prozent einen akademischen Abschluss, ebenfalls 16 Prozent einen Sekundarabschluss sowie 55 Prozent einen Real- oder Hauptschulabschluss auf. 11 Prozent hatten keinen schulischen Abschluss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an Erwerbspersonen in Europa wesentlich höher sind als in den meisten Heimatländern der Flüchtlinge. Hinzu kommt, dass diese meist nicht aus dem europäischen Kulturkreis kommen.

Arbeitsmarkt – Schlüssel zur Integration

Unabhängig von Bildungsgrad und kulturellem Hintergrund ist entscheidend, dass erwachsene Flüchtlinge sobald wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Europaweiten Untersuchungen aus dem Jahr 2008 zufolge dauerte es bei Flüchtlingen im Durchschnitt etwa 8 Jahre, bis diese dasselbe Beschäftigungsniveau wie Zuwanderer erreichten, die als Arbeitsmigranten oder im Rahmen des Familiennachzugs nach Europa gekommen waren. 15 Jahre sogar benötigten Flüchtlinge, um eine Erwerbsquote von 70 Prozent und damit das Niveau der einheimischen Bevölkerung bzw. der Arbeitsmigranten zu erlangen. Diese Phasen können verkürzt werden, wenn geeignete Integrationsmaßnahmen für die Flüchtlinge ergriffen werden. Dabei müssen sich Politik und Gesellschaft in Deutschland und anderen europäischen Ländern darüber im Klaren sein, dass die Integration von Flüchtlingen eine langfristige und kostspielige Herausforderung ist.

Quelle: OECD

Stand: September 2015/ Stefanie Wahl