Zeit zu handeln


Übersicht Beiträge und Veröffentlichungen

Brisantes Thema: Die globale Einkommensungleicheit

Der Befund ist ernüchternd und beschämend. Obwohl sich der Wert der weltweit erwirtschafteten Güter und Dienste seit 1960 versiebenfacht hat,[1] werden diese heute viel ungleicher verteilt als damals. 1960 erhielt das wirtschaftlich wohlhabendste Fünftel der Weltbevölkerung 70,2 und das wirtschaftlich ärmste 2,3 Prozent des Weltsozialprodukts.[2] Den restlichen drei Fünfteln verblieben 27,5 Prozent. 2007 flossen dem wohlhabendsten Fünftel 82,8 Prozent und dem ärmsten 1,0 Prozent des Weltsozialprodukts zu. Die drei verbleibenden Fünftel mussten sich mit 16,2 Prozent begnügen.[3] (Tabelle)

Tabelle:
Globale Einkommensentwicklung 1960-2007

bigImage

Quellen: UNDP (1992), S. 36; Kluge, Götz (2003), Trickle Down Trash. Squeeze Up Wealth; Ortiz/Cummins (2011), S. 12.

Noch deutlicher wird die Einkommenungleichheit, wenn der Einkommensanteil des wohlhabendsten zu dem des ärmsten Fünftels der Weltbevölkerung in Relation gesetzt wird. 1820 verfügten die wohlhabendsten 20 Prozent der Weltbevölkerung über dreimal mehr als die ärmsten 20 Prozent.[4] 140 Jahre später - 1960 - flossen dem wohlhabendsten Fünftel dreißigmal mehr zu als dem ärmsten. 2007 standen ihm sogar 83-mal mehr zur Verfügung. Damit spiegelt die globale Einkommensentwicklung in besonders ausgeprägter Form das wider, was sich insbesondere seit den 1980er Jahren in vielen Ländern vollzieht: Die Reichen werden reicher, die Armen bleiben im Bestfall gleich arm oder werden ärmer.

Wird allerdings nicht nur die Einkommensverteilung zwischen den wohlhabendsten und den ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung sondern die der Bevölkerung insgesamt verglichen, so hat die Einkommensungleichheit - gemessen mit dem Gini-Koeffizienten[5] - seit 2000 abgenommen (Schaubild 1). Dies gilt unabhängig davon, ob bei der Berechnung des Gini-Koeffizienten die unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen der einzelnen Länder berücksichtigt werden (Concept 2) oder nicht (Concept 1)[6] und ob das bevölkerungsreichste Land China von der Berechnung ausgenommen wird (Concept 2 without China). In letzterem Fall nimmt die Einkommens­ungleichheit insbesondere von 1980 bis 2000 sprunghaft zu, während sie - wenn China einbezogen wird - seit 1950 stetig und seit 1980 beschleunigt abnimmt (Concept 2). Ursächlich hierfür ist das starke Einkommenswachstum in China von einem extrem niedrigem Niveau aus.[7] Inzwischen gilt dies auch für Indien, was einen Großteil des Rückgangs der Einkommensungleicheit seit 2000 erklärt.

Schaubild 1:
Internationale ungewichtete und mit der Bevölkerungszahl gewichtete
Einkommensungleichheit 1952-2010

bigImage

Quelle: Milanovic, Branko (2012), S. 5.

Die globale Einkommensverteilung als Champagnerglas

Der Rückgang der globalen Einkommensungleicheit insgesamt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ärmste Fünftel der Weltbevölkerung hieran keinen Anteil hatte. Experten vergleichen die heutige globale Einkommensentwicklung mit einem Champagnerglas, bei dem die Einkommensmenge am oberen Rand des Glases konzentriert ist und kaum in dessen schmalen Stil vordringt.[8] (Schaubild 2)

Schaubild 2:
Globale Einkommensverteilung nach Bevölkerungsperzentilen 2007
in Dollar-Kaufkraftparitäten von 2005

bigImage

Quelle: Ortiz/Cummins (2011), S. 21.

Das wirtschaftlich ärmste Fünftel hatte 2007 weniger als 1,25 US-Dollar zum Leben und gehörte damit nach der Definition der Weltbank ausnahmlos zu den Ärmsten der Weltbevölkerung. Das zweitärmste Fünftel hatte immer noch weniger als 2 US-Dollar zur Verfügung und lebte damit der Weltbank zufolge in "moderater Armut". Dagegen floss dem wirtschaftlich stärksten Prozent der Weltbevölkerung etwa so viel Einkommen zu wie den wirtschaftlich ärmsten fünfzig Prozent der Weltbevölkerung.[9]

Kinder von Armut besonders betroffen

Besonders von Armut betroffen sind Kinder. Über 2,4 Millionen Kinder - das sind 6.500 pro Tag - starben 2011 an Hunger und Unterernährung.[10] Knapp jeder zweite unter 24-Jährige gehörte 2007 den zwei wirtschaftlich schwächsten Fünfteln der Weltbevölkerung an und musste mit einem Einkommen von weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.[11]

Die bestehenden globalen Einkommensunterschiede sind unethisch. Während sich viele in den früh industrialisierten Ländern - wir - Gedanken machen, ob sie duftenden Espresso, Cappuccino oder Latte Macchiato trinken sollen, verfügen Milliarden von Menschen weder über sauberes Wasser noch über genügend Energie, um die Nahrungsmittel so zuzubereiten, dass sie gut verdaulich und nahrhaft sind.

Die Einkommenskluft bedroht aber auch die Zukunft der Bevölkerungen der wohlhabenden Industrieländer. Denn zum einen tendieren wirtschaftlich arme Bevölkerungen dazu, ihre natürlichen Ressourcen auszubeuten und keine Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen. Das Beispiel Ecuadors, das von den früh industrialisierten Ländern Geld wollte, um dafür auf Ölförderung zu verzichten und einen Nationalpark zu schützen, sollte den früh industrialisierten Ländern zu denken geben. Denn von den geforderten 3,6 Milliarden Dollar wurden nur 13,3, Millionen Dollar gezahlt. Zum anderen dürften sich künftig noch viel mehr Menschen aus ärmeren Regionen aufmachen, um bei uns ihr Glück zu suchen. Wir sind hierauf nicht vorbereitet. Dies zeigen die Flüchtlingsdramen vor der Südküste Italiens oder die Proteste vor dem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf. In Zeiten der Globalisierung endet Gerechtigkeit und Solidarität nicht an den Grenzen Deutschlands oder Europas.

(Stand: August 2013, Stefanie Wahl)

 


[1]   Vgl. Earth Policy Institute (2011).

[2]   Vgl. UNDP (1992), Human Development Report 1992, New York/Oxford, S. 34 sowie Henrich, Karoly (2004), Globale Einkommensdisparitäten und -polaritäten, Universität Kasssel, Nr. 60, S. 6.

[3]   Vgl. Ortiz, Isabel/Cummins, Matthew (2011), Global Inequality: Beyond the Bottom Billion. A Rapid Review of Income Distribution in 141 Countries, Unicef, Working Paper, April, S. 12.

[4]   Vgl. Henrich (2004), S. 8.

[5]   Der Gini-Koeffizient ist ein Verteilungsmaß zwischen 0 und 1. Null bedeutet, dass alle Haushalte ein gleich hohes Einkommen haben (perfekte Gleicheit), ein Wert von 1, dass ein Haushalt ein Einkommen erzielt und alle anderen leer ausgehen (maximale Ungleichheit). Der Gini-Koeffizient wird von der so genannten Lorenz-Kurve abgeleitet. Diese ist die graphische Darstellung der Einkommensverteilung. Sie zeigt, wie viel ein bestimmter Anteil der Haushalte vom Gesamteinkommen aller Haushalte erhält. Wären die Einkommen gleich verteilt, entspräche die Lorenz-Kurve einer 45-Grad-Linie. Der Gini-Koeffizient berechnet sich aus der Differenz der Lorenz-Kurve und der 45-Grad-Linie.

[6]   In diesem Fall wird unterstellt, dass Luxemburg die gleiche Bevölkerungsgröße wie China hat.

[7]   Vgl. Milanovic, Branko (2012), Global Income Inequality by the Numbers: In History and Now, The World Bank, Policy Research Working Paper 6259, November, S. 6 f.

[8]   Vgl. Ortiz/Cummins (2011), S. 20 f.

[9]   Vgl. a.a.O.

[10] Vgl. Welthungerhilfe (2013), Hunger - Ausmass, Verbreitung und Ursachen, S. 2.

[11] Vgl. Ortiz/Cummins (2011), S. 22 ff.