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Wird die Lebenserwartung künftig sinken?

Die Lebenserwartung ist in den früh industrialisierten Ländern in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Für die Zukunft sagen Institutionen wie die Vereinten Nationen, Eurostat oder das Statistische Bundesamt einen weiteren Anstieg voraus.

Allerdings lassen aktuelle Daten zunehmend Zweifel daran aufkommen. So hat sich in den USA die Sterblichkeit der 40- bis 50-Jährigen in den letzten Jahren deutlich erhöht.[1] Auch für Deutschland deuten Zahlen der Deutschen Rentenversicherung darauf hin, dass ein kontinuierlicher Anstieg der Lebenserwartung keinesfalls sicher ist.[2]

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Wie das Schaubild zeigt, hat zwar die Lebenserwartung von männlichen Versicherten mit mittleren und überdurchschnittlichen Renten zwischen 2001 und 2010 weiter zugenommen. Doch ist sie bei Rentenbeziehern mit unterdurchschnittlichen Renten im gleichen Zeitraum zum Teil deutlich gesunken. (Die Daten der Frauen sind unter anderem aufgrund von Veränderungen im Erwerbsverhalten nur eingeschränkt aussagekräftig.)

Berufliche Gründe kommen für den Rückgang der Lebenserwartung kaum in Frage. Denn der Anteil von Geringverdienern, die körperlich schwer, im Schichtdienst oder in anderweitig gesundheitsabträglicher Weise arbeiten, ist tendenziell rückläufig. Dies gilt insbesondere für klassische Männerberufe in der Industrie, im Bergbau oder im Bauhauptgewerbe. Auch haben sich dort die Arbeitsbedingungen durch Arbeitsschutzmaßnahmen und technische Hilfsmittel eher verbessert als verschlechtert.

Ursächlich für den Rückgang der Lebenserwartung dürften vielmehr lebensverkürzende Verhaltensweisen sein. Die Hauptgründe für kurze Leben sind verschiedenen Studien zufolge starker Tabak- und Alkoholkonsum[3] sowie eine einseitige und kalorienreiche Ernährung in Verbindung mit mangelnder Bewegung.[4] Diese Eigenschaften treffen deutlich häufiger auf Menschen zu, deren beruflicher Status, Bildung und Einkommen unterdurchschnittlich sind. Bei ihnen liegt beispielsweise die Raucherquote vier- bis sechsmal höher als bei Angehörigen wirtschaftlich besser gestellter Bevölkerungsgruppen,[5] starkes Übergewicht ist mehr als doppelt so häufig.[6] Zudem werden die Verhaltensweisen der Eltern auf die Kinder übertragen. Kinder aus wirtschaftlich schwachen Schichten sind nur halb so oft in einem guten Gesundheitszustand wie Kinder aus wirtschaftlich starken Schichten.[7] Dabei nehmen in wirtschaftlich schwachen Schichten lebensverkürzende Verhaltensweisen sogar noch zu, während sie in wirtschaftlich starken Schichten tendenziell zurückgehen.

Soll die Lebenserwartung von Bevölkerungsgruppen künftig nicht weiter auseinanderdriften, müssen die Ursachen lebensverkürzender Verhaltensweisen bekämpft werden. Der Schlüssel hierzu sind Bildung und Sozialkompetenzen. Sie beeinflussen das Gesundheitsverhalten maßgeblich.[8]

(Stand: 20. Dezember 2011, Martin Schulte)  

 


[1]    Vgl. Münchner Rück (Hrsg.) (2007), Stoppt die Adipositas-"Epidemie" den Trend zur Langlebigkeit? Dezember, München.

[2]    Vgl. Deutscher Bundestag (2011), Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion "Rente erst ab 67 - Risiken für Jung und Alt", 30. November, Drucksache 17/7966.

[3]    Vgl. Doblhammer, Gabriele / Muth, Elena / Kruse, Anne (2008), Lebenserwartung in Deutschland: Trends, Prognose, Risikofaktoren und der Einfluss ausgewählter Medizininnovationen, Abschlussbericht, Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demographischen Wandels.

[4]    Vgl. Europäisches Parlament (EP) (2008), P6_TA(2008)0461, Ernährung, Übergewicht, Adipositas (Weißbuch), Entschließung des Europäischen Parlaments zum Weißbuch Ernährung, Übergewicht, Adipositas: Eine Strategie für Europa 2007/2285INI, 25. September. 

[5]    Vgl. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.) (2004), Rauchen und soziale Ungleichheit - Konsequenzen für die Tabakkontrollpolitik, Heidelberg.

[6]    Männer mit geringer Bildung, niedrigem Berufsstatus und geringem Einkommen sind knapp doppelt so häufig adipös wie Männer mit hoher Bildung, hohem Berufsstatus und hohem Einkommen. Bei Frauen beträgt die Relation sogar knapp 3 zu 1. Vgl. Kuntz, Benjamin / Lampert, Thomas (2010), Sozioökonomische Faktoren und Verbreitung von Adipositas, in: Deutsches Ärzteblatt Int., 107(30), S. 517-522. 

[7]    Vgl. Lampert, Thomas / Kurth, Bärbel-Maria (2007), Sozialer Status und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS), in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 43, S. A2944-A2949.

[8]    Vgl. auch Denkwerk Zukunft (2010), Für eine erneuerte Esskultur. Wie Essen und Trinken bei sinkendem materiellen Wohlstand zu mehr Wohlbefinden beitragen, April, Bonn.