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Horst W. Opaschowski - Was ist Wohlstand im 21. Jahrhundert?

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Horst W. Opaschowski (Photo: Jan Konitzki) vergrößern

Horst W. Opaschowski (geb. 1941), 1975 bis 2006 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg, ist seit 2007 Wissenschaftlicher Leiter und Kuratoriumsvorsitzender der BAT Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Er ist Berater für Politik und Wirtschaft und Ehrenpreisträger des Tourismusausschusses des Deutschen Bundestages. In seinem neuen Buch „Wohlstand neu denken" setzt er sich kritisch mit den drei Koordinaten des Fortschritts „Wirtschaft. Wachstum. Wohlstand" auseinander. Die spürbaren Wohlstandseinbußen an Geld und Gütern werden für ihn zur wichtigsten Antriebskraft für einen neuen Lebensstil mit nachhaltigen Folgen.

Kurzfassung des Vortrags

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Horst W. Opaschowski (Photo: Jan Konitzki) vergrößern

„Hinter uns liegt eine Phase fast ständiger Wohlstandssteigerung, die jetzt ihren Zenit überschritten hat. Nicht die Wohlstandsgesellschaft ist am Ende, sondern das maßlose Wohlstandsdenken. Die Wohlstandswende ist im Lebensalltag der Menschen angekommen. Und die Bürger denken neu über die politischen Wohlstandsversprechen und ihr persönliches Wohlergehen nach. Das Wort „Wohlstand" fand erst im 16. Jahrhundert weite Verbreitung. Es hatte seinerzeit eine dreifache Bedeutung:

  • Erstens hieß „in Wohlstand leben" so viel wie „gut und glücklich leben". Gemeint war das ganz persönliche Wohlergehen („Wenn es uns nach wunsch und willen gadt").
  • Zweitens war Wohlstand ein Synonym für Gesundheit und körperliches Wohlbefinden: Wer im besten Wohlstand lebte, war bei bester Gesundheit.
  • Drittens wurde Wohlstand auch im Sinne von Anstand verwendet: Was wohl anstand und der Sitte entsprach.

Im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu einer Bedeutungsverengung des Wohlstandsbegriffs. Diese auf das Materiell-Wirtschaftliche verengte Sichtweise hat sich seither durchgesetzt und die physischen, psychischen und moralischen Aspekte weitgehend in den Hintergrund gedrängt oder vergessen gemacht.

Eine Neubesinnung auf das Beständige findet jetzt statt. Und das ist immer weniger eine Frage des Geldes. Stattdessen richtet sich der Blick mehr auf Wohlfühlen, Wohlbefinden und Wohlergehen. Es geht um das Wesentliche des Lebens. Im nur ökonomischen Wachstumsdenken der letzten Jahrzehnte war dieser Beständigkeitsfaktor weitgehend aus dem Blick geraten. Vor dem Hintergrund unsicherer Zeiten und globaler Wirtschaftskrisen legen die Menschen mehr Wert auf nachhaltigen Wohlstand, der nicht nur von Konjunkturzyklen und Börsenkursen abhängig ist. Nachhaltiger Wohlstand garantiert auch anhaltenden Wohlstand. Statt auf das Immer-Mehr (= Lebensstandard) wird jetzt eher Wert auf das Immer-Besser (= Lebensqualität) gelegt: Letzteres ist nachhaltiger und sorgt für mehr Lebenszufriedenheit.

Das Wohlergehen wird wichtiger als weitere materielle Wohlstandssteigerungen. „Gut leben statt viel haben" heißt die pragmatische Lebenseinstellung in Zeiten der Wohlstandswende. Was auf den ersten Blick wie ‚Zynismus pur‘ wirkt, ist Realität des Lebens geworden. Immer mehr Menschen siedeln sich im Lager der Wohlstandskritiker an - quer durch alle Sozialschichten. Nachweislich ist der Anteil der Geringverdiener größer, der die Auffassung vertritt: „Wohlstand allein macht nicht glücklich!" Aus der Not machen sie eine pragmatische Tugend. Insofern kann es nicht überraschen: Wohlstand im 21. Jahrhundert bedeutet immer weniger Geld und Reichtum (46%) und immer mehr Gesundheit (73%) und Glück (67%) im Nahmilieu von Familie (64%) und Freunden (64%). Dennoch kann von einer Generation der Postmaterialisten (wie in den wohlhabenden Zeiten der siebziger Jahre) nicht gesprochen werden, weil materielle Sicherheit wie Arbeitsplatz-, Einkommens- und Rentensicherheit unverzichtbar bleiben, um keine Existenzsorgen zu haben. Es geht um Lebenssicherheit und soziale Absicherung und nicht um die Mehrung von Wohlstandsgütern.

Zukunftsmärkte werden immer auch Sinnmärkte sein - bezogen auf Familie und soziale Beziehungen, Gesundheit und Natur, Kultur und Bildung. Wertebotschaften statt Werbebotschaften heißt dann die Forderung der Verbraucher, die sich auch als eine Generation von Sinnsuchern versteht. Von Konsumverzicht will sie wenig wissen, dafür umso mehr von der Werthaltigkeit des Konsums. Vielleicht kommt es bald zu einer Neubewertung des urdeutschen Wortes „Habseligkeit", das dann mehr an Armseligkeit erinnert, weil Haben und Besitzen immer weniger wert sind. Auf der SozialAgenda von heute und morgen steht dagegen ganz obenan: Die neue Solidarität zwischen den Generationen. Statt der befürchteten demographischen Zeitbombe kommt ein sozialer Reichtum auf uns zu. Die Älteren stellen keine Belastung mehr dar, sondern tragen ganz im Gegenteil eher zur Entlastung der überlasteten „Sandwich-Generation" bei. In Zukunft kann uns nur noch eine Kultur des sozialen Wohlergehens weiterhelfen, die sich nicht mehr nur vom materiellen Wohlstandswachstum blenden lässt. Was nützt das schönste Wachstumsversprechen, wenn es nur bis zum Quartalsende hält?"

Horst W. Opaschowski