Zeit zu handeln


Übersicht 4-Referenten-Diskutanten

Karl-Siegbert Rehberg

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Karl-Siegbert Rehberg (geboren 1943 in Aachen)  ist Seniorprofessor für Soziologische Theorie, Theorie-geschichte und Kultursoziologie an der Technischen Universität Dresden, deren Gründungsprofessor für Soziologie er 1992 war. Von 2003 bis 2007 war er zudem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Seit 2001 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Goethe-Instituts Inter Nationes und seit 2003 des Wissenschaftlichen Fachbeirates des Kunstarchivs Beeskow sowie des Comitato scientifico des Premio Amalfi. Vor seinem Studium arbeitete er bereits als Buchhändler, Journalist, in der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages und als Abgeordnetenassistent.

Kurzstatement

Dass normative Vorstellungen, selbst in der Form enthusiastischer Ideen, sich oftmals nicht in eigene Handlungen umsetzen (lassen), dass es einen Hiatus gibt zwischen Absichten und deren Erfüllung ist so selbstverständlich, dass man meinen könnte, dies bedürfe zur Beantwortung der Frage „Warum wir nicht tun, was wir für richtig halten“ kaum noch einer philosophischen oder soziologischen Erörterung. Aber was für das menschliche Gattungswesen insgesamt als charakteristisch angenommen werden darf, drückt sich gerade nicht in universell einheitlichen Formen aus. Vielmehr ist es durch kulturelle Prägungen, durch Geschichtlichkeit und den ganzen Variationsreichtum von situativen Gegebenheiten und etwa auch generationellen Lagen geprägt und in seiner jeweiligen Form bestimmt.

So verlangt also auch die, diese Konferenz leitende Frage nach alternativen Verhaltensspielräumen und ‑bereitschaften im Zeitalter des Individualismus und – was ich für einen Schlüsselbegriff halte – des Massenkonsumkapitalismus nach einer vergleichenden Perspektive. Da gibt es zum einen (aber nicht immer in denselben Gesellschaften, sozialen Positionen, Gruppen etc.) Gefühle einer konsumerfüllt-glückhaften Endzeitigkeit jenseits von Zukünften und Vergangenheiten, wie auch globale Ängste, die zur Umkehr zu zwingen scheinen. Solche Widersprüche drücken sich seit einem halben Jahrhundert nicht zuletzt in einer zunehmenden Ablösung von Inititativethiken (wie sie als Motive der Durchsetzung des industriellen Kapitalismus ebenso wirksam waren wie für die totalitären ‚Revolutionen‘ von links und rechts) durch heute als selbstverständlich erscheinende Vetoethiken aus. Eine andere Spannungsbeziehung mag in der Parallelität einer tiefgreifenden Sensibilisierung der Menschen innerhalb der heutigen kulturellen, vor allem auch technisch erzeugbaren Möglichkeitsräume auf der einen und Tendenzen zu einer Primitivisierung auf der anderen Seite gesehen werden – letztere nicht nur in rechtspopulistischen Feindsetzungen zum Ausdruck kommend, sondern zunehmend alltagstauglich (auch jenseits der unsozialen Medien). So genießen wir in den reichen Ländern der Welt nie gekannte Freiheiten, die jedoch auf einer Verdichtung der Interdependenzketten beruhen und ein Gefühl der „Alternativlosigkeit“ nahelegen können. Mit alledem sollten einige Aspekte benannt sein, die für die Behandlung der zentralen Frage der Tagung von Interesse sein könnten.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, Baden-Baden (2014)

Dimensionen institutioneller Macht. Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart (Hrsg.), Köln/Weimar/Wien (2012)