Zeit zu handeln


Übersicht Beiträge und Veröffentlichungen

Schulden aus dem Ruder

Seit der internationalen Finanz- und Wirtschaftkrise haben die Schuldenquoten in den früh industrialisierten Ländern einen neuen Höhepunkt erreicht, von dem die meisten von ihnen - so die neueste Schuldenprognose des IWF bis 2016 - so schnell nicht wieder herunterkommen werden. Dabei werten es viele Länder schon als Erfolg, wenn ihre Schuldenquoten künftig nicht weiter steigen, d.h. die öffentlichen Schulden nicht schneller als die Wirtschaftskraft insgesamt zunehmen. Die Einhaltung des Maastricht-Kriteriums, wonach die öffentlichen Schulden 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten dürfen, ist für die meisten in weite Ferne gerückt. EU-weit beträgt die Schuldenquote derzeit 80 Prozent in Euroraum sogar 85 Prozent. Von einem absoluten Schuldenabbau ist so gut wie keine Rede mehr.

bigImage

Dagegen wächst die Zahl der früh industrialisierter Länder, deren öffentliche Schulden das Niveau des BIP erreichen oder sogar überschreiten: Japan, Griechenland, Italien, Irland, Island und die USA. Bis 2016 wird voraussichtlich Portugal hinzukommen. In Irland, den USA und Portugal gibt nicht nur der hohe Schuldenstand Anlass zur Sorge, sondern auch die Tatsache, dass hier die Schuldenquoten in den kommenden fünf Jahren weiter spürbar steigen werden.

Aber auch in den drei größten EU-Ländern Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich haben die öffentlichen Schulden mittlerweile 80 Prozent der jeweiligen Wirtschaftskraft überschritten. Zwar könnte Deutschland seine Schuldenquote in den nächsten fünf Jahren - nicht zuletzt in Vorbereitung auf die Schuldenbremse, die ab 2016 auf Bundesebene greift - auf 72 Prozent verringern. Doch auch dann wäre es von einer soliden Haushaltspolitik noch immer weit entfernt.

Dass die Schuldenquoten trotz Finanz- und Wirtschaftskrisen auch sinken können, zeigen die skandinavischen Länder Dänemark und Schweden. Dänemark gelang es, die Schuldenquote von 60 Prozent im Jahr 2000 auf heute 46 Prozent, Schweden sogar von 52 Prozent im Jahr 1995 auf heute 37 Prozent zu reduzieren. Für 2016 ist ein weiterer Abbau auf 40 bzw. 23 Prozent vorgesehen. Schuldenquoten unterhalb des Maastricht-Kriteriums weisen mit Ausnahme von Ungarn auch die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer sowie Norwegen und die Schweiz auf.

Steigende Schulden sind nicht nur ein Zeichen unsolider Haushaltspolitik, sondern auch mangelnder Zukunftsfähigkeit. Würde die Zunahme des BIP der letzten Jahre und Jahrzehnte um die öffentlichen Schulden bereinigt, bliebe in den meisten früh industrialisierten Ländern vom Wachstum nicht viel übrig. Vielerorts wäre das BIP sogar geschrumpft. Oder anders gewendet: Wollten diese Länder ihren Schuldenberg künftig abtragen, hätten sie auf Jahre hinaus trotz steigenden BIP keine materiellen Wohlstandszuwächse zu erwarten. Dadurch wird deutlich: Der materielle Wohlstand vieler früh industrialisierter Länder ist ein Wohlstand auf Pump. Er beruht auf Raubbau an der Zukunft.

Dieser Umstand muss bei der Wohlstandsmessung eines Landes, einer Region oder einer Stadt berücksichtigt werden. Würden steigende Staatsschulden konsequent als wohlstandsmindernd gewertet, würde Schuldenmachen künftig mit einem politischen Unwerturteil belegt werden. Die Folge wäre: Die Bevölkerungen früh industrialisierter Länder müssten wieder mit dem auskommen, was sie jeweils erwirtschaften 

(Stand: 28. Juni 2011, Stefanie Wahl - Denkwerk Zukunft)