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Hoher sozio-ökonomischer Entwicklungsstand weiterhin nicht nachhaltig

Auch wenn die Indikatoren noch diskussionsbedürftig sind, zeigen sie bemerkenswert eindeutig: Die Wissens- und Könnenszuwächse der Menschen - so eindrucksvoll diese auch sind - reichen alles in allem nicht aus, um ohne Schaden für Umwelt und Natur ihren materiellen Lebensstandard im erstrebten Umfang zu heben. Fast immer gehen materielle Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen einher mit der Verschlechterung der Lebensgrundlagen von Pflanzen, Tieren und nicht zuletzt der Menschen selbst. Das gilt insbesondere für neuere Entwicklungen.

Ein Abgleich des so genannten Human Development Index (HDI) [1] mit dem so genannten ökologischen Fußabdruck (ö.F.) [2] offenbart das Dilemma. Mit dem HDI wird anhand der Lebenserwartung einschließlich des Gesundheitszustandes, des Bildungsgrades und der wirtschaftlichen Prosperität einer Bevölkerung deren sozio-ökonomischer Entwicklungsstand zu bestimmen versucht. Mit dem ö.F. soll hingegen zum Ausdruck gebracht werden, welche produktive Land- und Wasserfläche eine Bevölkerung pro Kopf und Jahr benötigt, um die von ihr produzierten und konsumierten Güter und Dienste zu erwirtschaften und die dabei entstehenden Abfälle, Schadstoffe und Emissionen zu entsorgen. Das Ergebnis dieses Abgleichs: Wo immer der materielle Lebensstandard vom Menschen steigt, vergrößert sich der ökologische Fußabdruck.

Solange der ö.F. innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde verbleibt, das heißt nicht größer als 1 ist, erwachsen hieraus keine Probleme. Das aber ist - wie Schaubild 1 zeigt - immer seltener der Fall.

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Teilt man die Länder in solche mit sehr hohem, hohem, mittlerem und niedrigem sozio-ökonomischem Entwicklungsstand, dann produziert und konsumiert keines der 43 Länder der ersten und nur eine kleine Minderheit der zweiten Gruppe innerhalb der ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen. Von den Ländern mit sehr hohem und hohem Entwicklungsstand haben 90 Prozent die ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen zum Teil weit hinter sich gelassen. Würde die Weltbevölkerung produzieren und konsumieren wie US-Amerikaner benötigte sie die Kapazitäten von mehr als vier Globen, würde sie wirtschaften wie die Deutschen, wären es immerhin noch 2,5. So benötigt sie insgesamt "nur" 1,5 Globen.

Noch Anfang der 1970er Jahre reichte der Weltbevölkerung die Biokapazität der einen Erde. Da sie sich jedoch seitdem zahlenmäßig verdoppelt hat und zugleich ihre materiellen Ansprüche beträchtlich gestiegen sind, sinkt - wie Schaubild 2 verdeutlicht - die Pro-Kopf verfügbare Biokapazität der Erde immer weiter. Seit 1961 hat sie sich halbiert, wobei ein Ende dieses Trends derzeit nicht absehbar ist. Das aber heißt: Die Menschheit - mit den hoch entwickelten Ländern an der Spitze - sägt mit hoher Intensität an dem Ast, auf dem sie sitzt, soll heißen: zerstört sie ihre Lebensgrundlagen.

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Die existenzielle Herausforderung, vor der wir stehen, ist: Ein für alle befriedigender Lebensstandard muss innerhalb der ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen der Erde verwirklicht werden. Der jetzt verfolgte Weg hat in eine Sackgasse geführt. Um ihr wieder zu entkommen, müssen sowohl Produktionsweisen als auch Konsumgewohnheiten von Grund auf geändert werden. Die sozio-ökonomisch sehr hoch und hoch entwickelten Länder, zu denen neben anderen alle Länder Europas gehören, müssen hierbei vorangehen.

Stand: August 2015/Nikolaus Schäfer

[1] Der Human Development Index (HDI) setzt sich aus Indikatoren für Gesundheit, Bildung und Lebensstandard zusammen. Null zeigt einen sehr niedrigen, Eins einen sehr hohen sozio-ökonomischen Entwicklungsstand an. Vgl. UNDP (2013), Human Development Report 2013. The Rise of the South: Human Progress in a Diverse World, New York, URL: http://hdr.undp.org/sites/default/files/reports/14/hdr2013_en_complete.pdf 

[2] Der Ökologische Fußabdruck zeigt, welche produktive Land- und Wasserfläche (die Biokapazität) eine Bevölkerung pro Jahr benötigt, um die von ihr konsumierten Güter und Dienste zu produzieren und die dabei anfallenden Reststoffe (Abfälle, Emissionen) zu absorbieren. Setzt man den Ökologischen Fußabdruck (ÖF) eines Landes in Bezug zu einem globalen Durchschnittswert der verfügbaren Biokapazität (BC) erhält man ein Maß für die Nachhaltigkeit von Lebens- und Wirtschaftsweisen der Bevölkerung eines Landes (ÖF/BC). Bei einem Wert von Eins verbraucht die Bevölkerung eines Landes genau die zur Verfügung stehende Biokapazität. Sie bewegt sich demnach auf der Tragfähigkeitsgrenze der Erde. Übersteigt in einem Land der ÖF/BC diesen Wert, bedeutet dies, dass - würden weltweit alle Menschen so leben - jährlich mehr verbraucht würde als die Erde im Lauf eines Jahres regenerieren kann. Vgl. Global Footprint Network (2013), National Footprint Accounts, 2012 Edition, URL: http://www.footprintnetwork.org