Zeit zu handeln


Übersicht Beiträge und Veröffentlichungen

Vogelindex im Sinkflug

Der Vogelindex - ein Indikator für Biodiversität - nimmt in Deutschland beständig ab. Dies ist gleichbedeutend mit einem Rückgang der Artenvielfalt in Deutschland. Dieser Trend lässt sich bereits seit 1970 beobachten. Damals betrug der Indexwert 107 und lag damit geringfügig über dem von der Bundesregierung für das Jahr 2015 angestrebten Zielwert von 100. Bis 1990 sank er auf 77, bis 2000 weiter auf 72. Inzwischen - der jüngste verfügbare Wert stammt von 2011 - beträgt er nur noch 63.[1] Damit ist Deutschland von seinem angestrebten Ziel weiter entfernt als je zuvor.

Weil Biodiversität neben der Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten auch die von Genen und Ökosystemen beinhaltet, ist sie kaum mit einem einzelnen Wert zu messen. Der Vogelindex gilt jedoch als relativ verlässlicher Indikator.[2] Denn Vögel sind so genannte Zeigearten. Ihr Vorkommen spiegelt die Bewohnbarkeit bestimmter Landschaften für sie und damit auch für andere Arten wider, da die untersuchten Vogelarten in der Regel in artenreichen Landschaften mit intakten Lebensräumen auftreten. Für den Vogelindex werden in Deutschland Veränderungen im Bestand von 51 Vogelarten untersucht, die typisch für bestimmte Landschaften und Lebensräume in Deutschland sind. Steigt die Qualität eines Lebensraums, steigt auch der Bestand der Vogelart.[3] Um den Indexwert zu errechnen, wird die Bestandsgröße jeder beobachteten Art ins Verhältnis zum von einem Expertengremium festgelegten Zielwert gesetzt und anschließend mithilfe verschiedener statistischer Verfahren zu einem Gesamtindex aggregiert.[4]

Ein hohes Maß an Artenvielfalt im Tier- und Pflanzenreich ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Mit dem Aussterben von Arten gehen Erbgut sowie artspezifische Merkmale unwiederbringlich verloren und damit auch jede Hoffnung auf deren Nutzung, beispielsweise als Heilmittel in der Medizin. Darüber hinaus ermöglicht gerade angesichts bedeutender Umweltveränderungen wie dem Klimawandel eine große Vielfalt von Genen und Ökosystemen eher, sich auf die bevorstehenden Umwälzungen einzustellen.[5]

Für die Menschen sind zudem die sogenannten Ökosystemdienstleistungen von Bedeutung. Dieser Begriff beschreibt Dienste, die ein intaktes Ökosystem für die Menschen erbringt. Ein Verlust an biologischer Vielfalt bewirkt meist einen Rückgang dieser Dienstleistungen, da verschiedene Arten spezifische Aufgaben innerhalb eines Ökosystems übernehmen und damit zu seiner Funktionsfähigkeit beitragen.[6] Fehlen beispielsweise im Boden Regenwürmer und Kleinstlebewesen verschlechtern sich Humusbildung - die den Boden fruchtbar macht - und Wasserfilterung. Ähnliches gilt für die Fotosynthese zur Sauerstoffproduktion oder die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten.[7]

Entwicklung des Vogelindexes für verschiedene Landschaftstypen
von 1990 bis 2011

bigImage

Quelle: Statistisches Bundesamt (2014), S. 15.

Wie das Schaubild zeigt, nimmt der Vogelindex trotz Schwankungen laufend ab. Dies gilt mit Ausnahme des Waldes für alle Landschaftstypen. Am stärksten nahm der Vogelbestand auf Agrarflächen ab, die über 50 Prozent der Gesamtflächen Deutschlands ausmachen.[8] 1970 wies der Index mit 129 noch den höchsten Wert aller Landschaftstypen auf. 2011 war das Agrarland mit 56 Schlusslicht.

Ursächlich für den überdurchschnittlichen Rückgang der Vogelvielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sind die Intensivierung der Landwirtschaft sowie der fortschreitende Landnutzungswandel. Artenreiches Grünland wurde zu Äckern umgebrochen, Moore wurden trockengelegt und Wälder abgeholzt. Pflanzliche Feldbegrenzungen oder Landschaftsmerkmale wie Hecken, die beispielsweise Schmetterlingen und anderen Insekten Lebensraum bieten, wurden entfernt. An ihre Stelle traten einförmige Weiden oder Äcker, die zwar eine einfache Nutzung und Pflege erlauben, der Artenvielfalt jedoch abträglich sind.[9] Hinzu kommt der verstärkte Einsatz von Düngern und Pestiziden. Beide Stoffe wurden in Mengen eingesetzt, die Pflanzen nicht aufnehmen können. In Boden oder Wasser eingedrungen, beeinträchtigten sie den Lebensraum der Lebewesen, die diese Stoffe nicht vertragen.[10] Vor allem wurden durch den Einsatz von Pestiziden nicht nur Schädlinge bekämpft, sondern auch der Bestand an Schmetterlingen, Bienen sowie anderen Insekten und - nach neuesten Erkenntnissen - sogar an Vögeln verringert.

Der Rückgang von Insekten und Vögeln hängt dabei direkt zusammen. Zahlreiche Vogelarten ernähren sich ausschließlich von Insekten oder füttern ihren Nachwuchs damit. So nehmen Pestizide - vor allem die so genannten Neonicotinoide - durch das Abtöten von Insekten den Vögeln einen Teil ihrer Nahrungsgrundlage und senken so deren Bestand, auch wenn sie für Vögel oder Säugetiere nicht direkt schädlich sind. Die Pestizide landen häufig nur zu etwa fünf Prozent auf der zu schützenden Pflanze. Ein ebenso kleiner Teil wird durch die Luft transportiert. Der Großteil lagert sich in Boden und Wasser ab, wo das Pestizid nur sehr langsam abgebaut wird und so Insekten stark beeinträchtigen kann.[11]

Besonders besorgniserregend ist das Sterben ganzer Bienenvölker, was zu einem Großteil ebenfalls dem Pestizideinsatz zugeschrieben wird. Die Pestizide beeinträchtigen unter anderem den Orientierungssinn der Bienen, so dass diese nach dem Kontakt mit Pestiziden nicht mehr zum Bienenstock zurück finden.[12] Ferner wirkt die Verbreitung von Monokulturen in der intensiven Landwirtschaft, vor allem im Futtermittel- oder Energiepflanzenanbau, bestandsvermindernd, da eine geringere Pflanzenvielfalt für die Bienen eine geringere Zahl an Nahrungsquellen bedeutet. Dabei sind gerade Bienen für die Landwirtschaft besonders wichtig. 80 Prozent der weltweit angebauten Nutzpflanzen werden von ihnen bestäubt.[13] Der Landwirtschaft sollte also daran gelegen sein, die Lebensbedingungen von Bienen zu verbessern. Dies gelingt beispielsweise durch die Schaffung vielfältiger, intakter Lebensräume. Diese wären auch für andere Arten attraktiv und würden so dafür sorgen, dass die Artenvielfalt - und somit auch der Vogelindex - in Deutschland wieder ansteigt. 

(Stand Juli 2014, Karsten Gödderz)


[1] Vgl. Statistisches Bundesamt (2014), Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Daten zum Indikatorenbericht 2014, Wiesbaden, S. 15, URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/UmweltoekonomischeGesamtrechnungen/Umweltindikatoren/IndikatorenPDF_5850013.pdf?__blob=publicationFile.

[2] So wird dieser Wert beispielsweise im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung zur Überprüfung der Zielerreichung genutzt. Darüber hinaus ist er Leitindikator für die Rate des Biodiversitätsverlustes im Bereich Ökologie des von der Enquete-Kommission "Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität" entwickelten Indikators zur Messung des Wohlstandes einer Gesellschaft. Um internationale Vergleichbarkeit herzustellen wird hier allerdings nur der Teilindex Agrarland verwendet. Vgl. Deutscher Bundestag (2013), Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft", Berlin, S. 269, URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/133/1713300.pdf.

[3] Vgl. Deutscher Bundestag (2013), S. 415.

[4] Vgl. Statistisches Bundesamt (2014), Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Indikatorenbericht 2014, Wiesbaden, S. 17, URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/UmweltoekonomischeGesamtrechnungen/Umweltindikatoren/IndikatorenPDF_0230001.pdf?__blob=publicationFile sowie Gregory, Richard D./van Strien, Arco (2010), Wild bird indicators: using composite population trends of birds as measures of environmental health, in: Ornithological Science, 9, S. 3-22, URL: http://www.ebcc.info/wpimages/other/Gregory_OrnitScience2010.pdf

[5] Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2007), Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, Berlin, S. 11, URL: http://www.biologischevielfalt.de/fileadmin/NBS/documents/broschuere_biolog_vielfalt_strategie_bf.pdf.

[6] Vgl. BUND (2010), Agrarsubventionen umverteilen - Vielfalt fördern, Berlin, S. 11, URL: http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/landwirtschaft/20100200_landwirtschaft_agrarreform_statt_massentierhaltung_broschuere.pdf.

[7] Vgl. Brasseur, V./Mosbrugger, M., Schaller, M. et al. (2012), Klimawandel und Biodiversität. Folgen für Deutschland, Darmstadt, S. 13.

[8] Vgl. Umweltbundesamt (2012), Umweltbelastungen der Landwirtschaft, URL: http://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft.

[9] Vgl. a.a.O. sowie European Environment Agency (2013), The European Grassland Butterfly Indicator: 1990-2011, EEA Technical Report, No. 11/2013, Brüssel, S. 7, URL: http://www.eea.europa.eu/publications/the-european-grassland-butterfly-indicator-19902011/at_download/file.

[10] Vgl. BUND (2010), S. 11

[11] Vgl. http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article129990732/Pestizide-gefaehrden-Bestaende-der-Singvoegel.html

[12] Vgl. Fischer, J./Müller, T./Spatz, A-K. et al. (2014) Neonicotinoids Interfere with Specific Components of Navigation in Honeybees. PLoS ONE 9(3), URL: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0091364.

[13] Vgl. http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article129990732/Pestizide-gefaehrden-Bestaende-der-Singvoegel.html