Zeit zu handeln


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Für eine nachhaltige Familienpolitik

Zwischenruf von Konrad Adam

Die Bundesfamilienministerin hat mit einem neuen Vorschlag überrascht: um von den Verpflichtungen, die sie mit der wachsenden Altenlast auf sich zukommen sieht, nicht erdrückt zu werden, will sie die Altenpflege reprivatisieren. Nicht die als Schlussstein im Gewölbe des deutschen Sozialversicherungspalastes gepriesene Pflegeversicherung, sondern die Familien, genauer: ihre jüngeren Mitglieder sollen die Betreuung der Alten übernehmen. Zu diesem Zweck sollen sie eine Zeit lang ihre Berufspflichten reduzieren oder ganz aufgeben, um für die Alten da zu sein. Für alte Leute, wie gesagt, nicht für die Kinder, für die das Kollektiv der Tagesstätte vorgesehen ist.

Das ist ein gut getarnter Offenbarungseid. Der Staat hat sich bei der Zusage sozialpolitischer Wohltaten übernommen und appelliert jetzt an die Bürger, ihm Zusagen zu erlassen, die er seinerzeit übernommen hatte, angesichts der immer enger werdenden Haushaltslage aber nicht mehr erfüllen kann, zumindest nicht zu den erhofften Konditionen. Der Versuch des Staates, sich selbst an die Stelle der Bürger zu setzen, ist an seine Grenzen gestoßen. Er wird daran erinnert, dass das Solidaritätsversprechen nicht nur eine, sondern zwei Seiten hat, und dass die Alten nur dann darauf setzen dürfen, von der Jugend versorgt zu werden, wenn sie ihrerseits zuvor für Kinder gesorgt haben.

Über die Zeit gerechnet, kommt alles darauf an, dass es genug Kinder, erwachsene Kinder gibt, die dazu bereit und fähig sind, die ihnen angesonnenen Pflichten auf sich zu nehmen. Wo Kinder fehlen, gehen die Pläne der Familienministerin ins Leere; denn wo nichts ist, hat eben nicht nur der Kaiser, sondern auch ein Minister sein Recht verloren. So wie die Kinder den Staat, braucht der Staat die Kinder; und die brauchen nun einmal die Familie. Weil das so ist, sollte sich die Regierung auf die Leistungskraft der Familie nicht nur dann besinnen, wenn es um die Versorgung von alten Leuten geht, sondern auch und vor allem dort, wo Kinder zu pflegen, zu bilden und großzuziehen sind. Voraussetzung für eine humane Altenpolitik ist allemal eine gerechte und nachhaltige Familienpolitik.

Konrad Adam, Publizist, Berlin, ehemaliger politischer Chefkorrespondent der Zeitschrift "Die Welt", Mitwirkender im Initiativkreis "Kommunikation und Medien".