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Welche Welt für unsere Kinder?

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Zwischenruf von Jakob von Uexküll

Die Unsicherheiten in den Klima-Prognosen zeigen überwiegend, dass die Entwicklung noch schneller, dramatischer und bedrohlicher verläuft als bisher angenommen. Schon in den nächsten Jahren müssen wir damit rechnen, dass viele hundert Millionen Menschen vom wachsenden Klima-Chaos (Überschwemmungen, Dürre, Hitzewellen) direkt bedroht werden.  Noch zehn Jahre 'business as usual' und die Folgen werden weltweit irreversibel und auf vielen Gebieten katastrophal sein.

Eine weitere Herausforderung betrifft unser Finanzsystem, das kollabiert ist und seine Grenzen aufzeigt, mit verheerenden realwirtschaftlichen Folgen. Die 'moralische Lizenz zu Handeln' droht vor allem im Finanzsektor verlorenzugehen. Das Grundvertrauen in unsere Wirtschaftsordnung ist erschüttert, ohne das eine realistische Alternative erkennbar ist.

Die rapide steigenden Preise und Verteilungskämpfe um immer knapper werdende Ressourcen werfen riesige Herausforderungen auf. Das Weltbild in dem sich die meisten Menschen zurecht gefunden haben, verliert seinen Realitätsbezug. Denn Naturgesetze können weder von Diktaturen noch von demokratischen Mehrheiten abgeschafft werden! Die Natur liefert auch keine 'Rettungspakete' in der Krise, ökologische Schulden werden nicht gestundet, und mit schmelzenden Gletschern kann man nicht verhandeln!

Was können wir tun?

  1. Es ist zwingend notwendig die Reduzierung der CO2-Emissionen mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, voranzutreiben.
    Dies geht nur, wenn wir den Energiehunger dieser Welt teils reduzieren, teils mit neuen Mitteln decken und schnellstmöglich eine Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien erreichen - Sonne, Wasser, Wind, Biomasse. Die finanziellen Barrieren auf diesem Weg sind mit politischem Willen schnell zu überwinden. Denn alles was eine Gesellschaft tun kann, das kann sie auch finanzieren.
  2. Wir brauchen eine neue industrielle Revolution, die unsere Produktions- und Konsumtionssysteme so umbaut, dass so wenig Abfall wie möglich entsteht. Die Natur macht es uns vor! Hierzu gibt es schon Kreislaufmodelle ("Cradle to Cradle"). Entnommene Ressourcen müssen wo immer möglich wieder zurückgegeben werden können, d.h. echtes Re-Cycling und nicht Down-Cycling.
  3. Wenn das Wirtschafts-Wachstum nicht wie bisher weitergeht, müssen Gerechtigkeitsfragen national und global neu gestellt und beantwortet werden. Immer mehr Menschen sehen ein, dass unsere derzeitige Wirtschaftsordnung in großem Ausmaß von Insidern zu ihrem persönlichen Vorteil manipuliert wird, statt der Allgemeinheit zu dienen. Um ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern brauchen wir nicht nur Mindest- sondern auch Höchst-Einkommensgrenzen.
  4. Als "entwickelte" Vorreiter-Nationen müssen wir Verantwortung für die aktuellen globalen Zustände übernehmen. Konkret heißt dies auch Schadensersatz zu zahlen an die, die unseren Entwicklungsweg nicht folgen können, ohne unsere gemeinsame Erde zu gefährden.
  5. Wir müssen lernen natürliche Grenzen zu akzeptieren und uns vom Wachstums-Fetischismus lösen. Wir sind nicht so reich wie wir glauben. Denn die erstaunlichen vergangenen Wachstums-Raten des Finanzsektors halten oft keinen realwirtschaftlichen Hintergrund - und Geld kann man bekanntlich nicht essen. Auch das vergangene realwirtschaftliche Wachstum geschah zum grossen Teil auf Kosten unsere Um- und Nachwelt. Dies ist jetzt nicht mehr möglich, und es werden noch viele Rechnungen hierfür fällig. Sobald wir dies verstanden haben, sieht unsere Welt anders aus. Das viel bewunderte Chinesische 'Wachstum' z.B. verschwindet, sobald die Kosten für Um- und Nachwelt mit einbezogen werden!

Zukunftsfähiger dürfte Japan sein, gerade weil Wirtschaft und Konsum dort nicht bzw. wenig wächst. Mark Clifford, Executive Director des Asia Business Council, schreibt dazu im TIME Magazin vom 2. August: "der schwache Konsum könnte aus Japan ein 'global leader' in ökologischer Nachhaltigkeit machen. Die Lebenserwartung ist eine der höchsten weltweit; die Kriminalität äusserst gering. Das kulturelle Leben ist exquisit und weltberühmt. Der soziale Zusammenhalt bleibt stark. Einkommensunterschiede sind gering. Die meisten Japaner geniessen ihr Leben."

Wir werden sicher auf einige moderne Bequemlichkeiten verzichten müssen. Ein ständiges Größer, Weiter, Mehr, ist für eine Welt mit bald 9 Milliarden Menschen nicht tragbar. Ein Kilo Rindfleisch zu produzieren kostet ca. 15000 Liter Wasser - ökologisch unbezahlbar. Und ein Menschenrecht für 20 Euro nach Mallorca zu fliegen, auf Kosten der Umwelt unserer Kinder, gibt es nicht!

Wir werden unser Selbst- und Fortschritts-Verständnis neu definieren müssen. All dies ist nicht neu, sondern mindestens seit 1992 in der Rio Agenda 21 bekannt und von allen teilnehmenden Ländern unterschrieben. Aber das dominierende ökonomische Denken untergräbt Gemeinschaft und Solidarität und blockiert verantwortliches Handeln. Daher muss eine realistische Strategie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, damit individuelles Handeln von positiven Regeln unterstützt wird.  In der brasilianischen Metropole Sao Paulo z.B. wurde jegliche Aussenwerbung als 'visuelle Umweltverschmutzung' untersagt.

Wir müssen jetzt die bekannten Antworten in politische Lösungen verwandeln. Denn es gibt für die meisten Herausforderungen auf dieser Welt bereits irgendwo gute Lösungen. Diese zu finden und zu verbreiten, in Zusammenarbeit mit Parlamentariern weltweit, ist eine Hauptaufgabe des World Future Councils. Der WFC hat auch das Konzept des "Verbrechen gegen zukünftige Generationen" als potenzieller Straftatbestand auf die internationale Bühne gehoben. Welcher Politiker wird sich noch trauen zukunftsbedrohende Gesetze auf den Weg zu bringen, wenn er dafür juristisch belangt werden kann? Als Positiv-Beispiel haben wir den ungarischen Parlamentarischen Ombudsman für zukünftige Generationen aufgegriffen, der zukunftsgefährdende Gesetze blockieren kann und arbeiten jetzt daran, einen solchen EU-weit zu etablieren.

Die Mitglieder des Weltzukunftsrates sind Pioniere und Visionäre aus der ganzen Welt. Sie kommen aus Regierungen, Parlamenten, der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Kultur. Viele sind Preisträger des Right Livelihood Awards, des sog. Alternativen Nobelpreises. Sie bilden zusammen eine Stimme, die unsere gemeinsame Verantwortung und unsere gemeinsamen Werte als Bürger dieser Erde betont und den Rechten zukünftiger Generationen Gehör verschafft.

Diese Folgen sind auch zum ersten Mal in der Geschichte global. Der US-Ökonom und Alternative Nobelpreisträger Prof. Herman Daly beschreibt die wirtschaftliche Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte als den letzten Versuch, den natürlichen Grenzen des "Wachstums" zu entkommen, in dem wir in den ökonomischen und ökologischen Raum anderer Länder hineingewachsen sind. Die Folge davon ist natürlich, dass die endgültige Grenze umfassend und übergreifend sein wird - das sog. "Global Peak Everything".

Aber auch positive Entwicklungen können sich beschleunigen, wie wir nicht nur 1989-91 gesehen haben! Die Vision von Präsident Roosevelt hat die US-Wirtschaft im 2.Weltkrieg dazu gebracht, die über 300 000 Flugzeuge und fast 100 000 Schiffe zu produzieren, die nötig waren, um den Faschismus zu besiegen. Die Historikerin Doris Kearns Goodwin schreibt dazu in ihrem Buch "No Ordinary Time": "Ironischerweise, während die Führer der Industrie sich an einer mehr oder weniger statischen Sicht der amerikanischen Wirtschaft festhielten, verwurzelt in herkömmlichen Vorstellungen von beschränkten jährlichen Wachstumsmöglichkeiten, waren es Roosevelt und seine unpraktischen Theoretiker...die eine starke Vision hatten, dass das Land fähig war, mehr zu produzieren, als jemals jemand für möglich gehalten hatte." Den Zweiflern am Potenzial der Erneuerbaren Energien sollten wir daran erinnern!

In Krisenzeiten sind groβe Schritte manchmal leichter als kleine, weil sie als problemrealistisch gesehen werden und so begeistern und mobilisieren können. Lösungen gibt es überall. Ich sage das ganz bewusst weil ich seit 30 Jahren mit dem Alternativen Nobelpreis solche "Projekte der Hoffnung" auszeichne. Die 137 Preisträger aus 58 Ländern bieten auf vielen Gebieten praktische Lösungsansätze für die groβen Herausforderungen von heute. Seit einem Jahr gibt es auch den Future Policy Award des World Future Councils, der 'best policies', d.h. vorbildliche Gesetze auszeichnet. Letztes Jahr haben wir das Gesetz "Recht auf Nahrung" der brasilianischen Stadt Belo Horizonte ausgezeichnet. Es hat die Kindersterblichkeit dort um 60% gesenkt - und kostet 2% des Städtischen Haushalts!

Der Übergang zu einer weltweiten Zivilisation, die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen lebt, wirft riesige Herausforderungen auf. Auf vielen Gebieten muss sehr vieles unter diesem Aspekt neu durchdacht werden. Was kann noch wachsten? Was muss schrumpfen? Wie schaffen wir hierfür Verständnis, Akzeptanz, und die nötigen Anreize?

Allzu leicht verfällt man in eine Schockstarre - die Größe der globalen Probleme, vor allem die beispiellose Herausforderung des Klimawandels, sind alleine nicht zu lösen oder andersherum, was hilft es, wenn ich mein Leben umstelle? Der Effekt ist doch minimal?

Wir können aber alle einen Beitrag leisten. Setzten Sie sich zu Hause im Familienrat zusammen und überprüfen Ihre Gewohnheiten. Und wenn Sie noch Kinder im Grundschulalter haben, hören Sie auch auf sie - häufig sind sie schon besser ökologisch ausgebildet als ihre Eltern. Der Fernurlaub wird dann z.B. schnell hinterfragt. Da wir in einem reichen Industrieland leben, können unsere persönlichen Entscheidungen im Weltmaßstab überdurchschnittlich viel bewirken.

An Unternehmer kann ich nur die Empfehlung richten, sich schnell die Chancen, die sich aus der Entwicklung neuer Märkte und der Änderung des regulatorischen Umfelds ergeben, zu Nutze zu machen - und sich aktiv für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen einsetzen! Allzu oft wird "die Wirtschaft" noch von ängstlichen Zukunftsverhindern und Besitzstandwahrern vertreten, statt von Unternehmern, die diesen Namen verdienen.

Und natürlich können Sie helfen, indem Sie Organisationen wie den World Future Council und den Alternativen Nobelpreis unterstützen. Wir sind unabhängig, unparteiisch und weltweit einmalig. Daher vertrauen uns Menschen in vielen Ländern und wir können sichtbare Erfolge in kurzer Zeit vorweisen. 

Wir brauchen Partner, um unsere weitere Arbeit zu sichern. Damit wir auf die wachsenden Herausforderungen konsequent, erfolgreich und in einem größeren Rahmen regieren können, müssen wir diese Zahl schnell erweitern!

Der Preis unserer Freiheit, sagte der Philosoph der Hoffnung Ernst Bloch, ist das Risiko, dass der groβe geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft, das der Herausforderung nicht gewachsen ist. Es liegt jetzt an jedem von uns, dafür zu sorgen, dass seine Befürchtung sich nicht Bewahrheitet und wir unserer Verantwortung als Hüter und Treuhänder unserer Erde für alle zukünftigen Generationen gerecht werden.

Jakob von Uexküll ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des World Future Council in Hamburg. Außerdem ist er Stifter des Alternativen Nobelpreises, Mitgründer von "The Other Economic Summit" und ehemaliges Mitglied des Political Affairs Committee des Europaparlaments. Er ist Schirmherr von Friends of the Earth International. Ferner ist er Autor von "Das sind wir unseren Kindern schuldig" und "Die Zukunft gestalten - World Future Council: Aufgaben des Weltzukunftsrates".