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Absolute Wachstumsgrenzen – Energieaspekte

Zwischenruf von Wolfgang Jacoby

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Wolfgang Jacoby vergrößern

Wirtschaft und Politik wollen immer weiteres Wachstum. Doch bei konstanten Zuwachsraten wird dieses Wachstum bald enden. Neben dem Klima- gibt es nämlich auch ein Energieproblem.

Wüchse die Weltwirtschaft von jetzt an nicht mehr weiter, reichten die nicht-erneuerbaren Energievorräte (Kohle, Öl, Gas, Uran - nachgewiesen, noch nicht abbaubar, vermutet) noch etwa 1.200 Jahre zur Versorgung aus. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von beispielsweise drei Prozent schrumpfte der Versorgungszeitraum jedoch auf 122 Jahre. Und selbst wenn die Energievorräte zehnmal so groß wären, wie sie tatsächlich sind, betrüge der Versorgungszeitraum nur 200 Jahre.

Viele setzen deshalb auf die Sonnenenergie. Doch bei einem physikalisch und geographisch plausiblen Wirkungsgrad könnte auch sie nur für etwa 100 bis höchstens 200 Jahre den Energiebedarf einer um jährlich drei Prozent wachsenden Weltwirtschaft decken. Danach würde die Abwärme dieser Art der Energieerzeugung manche Gebiete der Erde unerträglich aufheizen.

Die Erdwärme schließlich reicht schon heute nicht aus, um die von der Weltwirtschaft benötigte Energie zu decken.

Diese Zeiträume sind so kurz, dass materielles Wachstum höchst fragwürdig geworden ist. Daher sollten sich Wirtschaft und Politik auf ein Ende dieses Wachstums einstellen und nicht zuwarten, bis nichts mehr geht. Ökonomisch-ökologisches Wirtschaften - rechtzeitig in Angriff genommen - erlaubt jedoch qualitatives Wachstum. Zu ihm gibt es keine Alternative. Damit steht ein Paradigmenwechsel bevor. 

Prof. Dr. Wolfgang Jacoby ist Professor für Geophysik (em.) am Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg Universität Mainz

Erläuterungen

Nicht-erneuerbare Energievorräte. Datenquelle für die Berechnungen: Energierohstoffe 2009, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, 2009: Tabelle 1.1. Unterschieden werden "Reserven" (genau bestimmte und mit heutiger Technologie abbaubare Vorräte) und "Ressourcen" (nachgewiesenen aber noch nicht gewinnbare sowie vermutete Vorräte). Die Berechnungen für die Erschöpfung aller Vorräte, der Summe von "Reserven" und "Ressourcen" ergeben für 3 % jährliches Wachstum zeitliche Höchstgrenzen für den Fall der Steigerung der Gewinnung bis zum abrupten Ende. Realistisch tritt der kritische Engpass früher ein, die Gewinnung beginnt abzunehmen, die Preise steigen. Beim Öl ist der Höhepunkt der Förderung bereits etwa erreicht; das geben sogar Skeptiker zu. Die Rechnungen vernachlässigen alle möglichen Nebenwirkungen (z.B. CO2 bei massiver Kohleverbrennung, unvorhersehbare Klimaverschiebungen). Tabelle 1 fasst die Daten und Rechenergebnisse zusammen.

Die erneuerbaren Energien Sonne und Erdwärme, glaubt man, würden den globalen Energiebedarf reichlich decken. Der gesamte Erdwärmestrom ist 2 ½-mal der heutige Energieverbrauch, die Solarenergie sogar 7600-mal, ein scheinbares Argument dafür, dass wir uns überhaupt keine Sorgen zu machen brauchen. Physik (2. Hauptsatz der Thermodynamik) und Geographie (Verteilungsdichte von Photozellen oder Sonnenkollektoren) limitieren den Wirkungsgrad jedoch global auf wenige Prozent, und mit exponentiellem Wachstum kommt man bald an die Grenzen. Optimistisch geschätzt würde 0.3 bis 3 % Wirkungsgrad (1 bis 10% auf der Landoberfläche, mit Desertec) die nutzbare Sonnenenergie auf etwa das 23- bis 230-fache des heutigen Bedarfs reduzieren. Damit könnten die Energieströme Wachstum nur noch 145 ± 40 Jahre unterhalten, dann nicht mehr.

Tabelle 2 zeigt Rechenergebnisse. Die Zeilen 1 und 2 gelten für die hypothetischen Fälle 100-prozentiger Nutzung der auf der gesamten Erdoberfläche bzw. nur auf der Landoberfläche ankommenden Einstrahlung. Realistisch wird die Steigerung der Nutzung auch im Falle der erneuerbaren Energien immer aufwendiger, und die Übergangsphase zum Nullwachstum würde früher einsetzen.

Berechnung: exponentielles Wachstum wird durch E(t) » EoPt beschrieben, wobei P = 1+0.01p, p = Prozentsatz; Eo » 1.6×1013 W (5´1020 J/a) = heutiger jährlicher Energiebedarf (~2 kW pro Person der Weltbevölkerung) und t » log(En/Eo)/log P = Zeit in Jahren. In t Jahren wächst der Energiebedarf auf En an.

Ein endlicher Vorrat an gespeicherter Energie, Wtot [J], erschöpft sich durch kumulativen Abbau, beschrieben durch das Integral, mit dt = ad(t/a): Wtot = aEo oòtPtdt = Eo(P/lnP)(Pt - 1), woraus folgt: Pt = lnPWtot/Eo + 1 und t = log(lnP×Wtot/Eo + 1)/logP.

Die Zahlen in den Tabellen sind mit jedem besseren Taschenrechner nachzurechnen.

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Diskussion

Zustand

Wir leben über unsere Verhältnisse; unser Lebensstandard ist nicht globalisierbar (Paul Crutzen); die Grenzen des Wachstums sind längst erreicht. Insgesamt verbrau­chen wir mehr an Reserven und "Umwelt", als die Erde hergibt. Einige hochentwickel­te Länder haben den Zusammenbruch in der Finanzkrise vorgemacht, nachdem sie von skrupellosen Bankern, gekauften Politikern, Großprojekten, unkontrolliertem Wachstum, etc. zur Maßlosigkeit verführt wurden und Staat und Volk die Verschul­dung nicht mehr bezahlen können. Das ist ein Modell für die globalen Verhältnisse. Die temporäre Erholung (bei uns) ist kein Anlass zu Sorglosigkeit.

Die Weltbevölkerung wächst noch immer, obwohl schon heute die Enge vielfach un­menschlich geworden ist und die Natur immer weiter zerstört wird. Der materielle Wohlstand in den Industriestaaten ist gewaltig gewachsen, und die globale Ungleich­heit wächst trotz des erklärten Zieles, sie zu verringern; das Zusammenleben wird zunehmend unerfreulich.

Häufige Einwände

(1) 100 oder 200 Jahre sind noch reichlich Zeit!

Nein, denn der Umbau von Wirtschaft und Lebensführung zu materiellem Nullwachs­tum ist mühsam und braucht Zeit von Generationen. Außerdem stehen finanz- und energie-aufwendige Investitionen an. Wenn wir zuwarten, wird es noch viel schwerer werden. Zwischenzeitlich sind Teilprobleme zu befürchten, Rohstoffkrisen, Handels­kriege, "heiße" Kriege. Wollen wir eine solche Welt für unsere Kinder" und Enkelkin­der? Wäre es nicht besser, jetzt zu beginnen, sich der essentiellen Bedürfnisse zu erinnern, die überflüssigen einzuschränken und damit das quantitative Wachstum auf ein qualitatives umzulenken. Die Nachkriegszeit hat gelehrt, dass ein niedrigerer ma­terieller Wohlstand nicht automatisch unglücklich macht.

(2) Ist es nicht überflüssig, auf die Wachstumsgrenzen hinzuweisen? Es besteht doch keine Notwendigkeit mehr, noch weiter zu wachsen.

In der Tat! In den westlichen Industrieländern nicht, wohl aber in den Entwicklungs- und den Schwellenländern (80 % der Menschheit). Und die meisten Politiker, Manager und Wirtschaftswissenschaftler sehen das Problem überhaupt nicht oder bestehen auf ihren "Gewohnheitsrechten". Der Zeitgeist ist unzeitgemäß. Alle müssen umdenken.

(3) Wozu die ganzen Berechnungen? Es ist doch ohne Rechnung evident, dass exponentielles Wachstum nicht beliebig lange weitergeht

Ja, aber das sehen nur sehr wenige. Quantifizierungen demonstrieren die Dringlich­keit der Abkehr von der Wachstumsphilosophie, um Planer in Politik, Industrie und Wirtschaft zu bewegen, den Zeitgeist aufzugeben. Wachstum ist nicht mehr selbstver­ständlich hinzunehmen. Und die Berechnungen können uns vielleicht zu den notwen­digen persönlichen Konsequenzen animieren.

(4) Die Kreativität des Menschen wird die Probleme der Zukunft lösen.

Ja, es besteht Hoffnung, es ist aber vor allem Auftrag an jeden Einzelnen.

Möglichkeiten

Energie-Sparen wird technisch ständig verbessert. Die Allgemeinheit muss sparsame­re Gewohnheiten entwickeln. Von "anderen" wie Behinderten, Alten, Kranken und sonst wie Benachteiligten verlangen wir das selbstverständlich. Wir können und müs­sen es für uns selbst anstreben. Schwierig ist nur die Umstellung, nicht die neuen Gewohnheiten selbst. Eine 2000-Watt Gesellschaft ist praktikabel, jedoch ist der Um­bau aufwendig und braucht Zeit. Konzentration auf den Ausbau der Sonnenenergie könnte allen Menschen ein angenehmeres Leben ermöglichen, wenn zudem auch die Verteilungsgerechtigkeit verbessert wird. Quantitatives Wachstum muss in qualitatives Wachstum umgelenkt werden.

Prof. Dr. Oliver Schwarz, Didaktik der Physik, Siegen, hat die ersten Rechnungen durchgeführt und mich zu gemeinsamen Arbeiten angeregt.