Zeit zu handeln


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Werner Abelshauser

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Werner Abelshauser (geboren 1944) ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld. Von 1966 bis 1970 studierte er Volkswirtschaftslehre in Mannheim und promovierte anschließend an der Ruhr-Universität Bochum mit einer Arbeit zur "Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948". Nach seiner Habilitation 1980 erhielt er 1983 ebenfalls in Bochum seine erste Professur. Von 1989 bis 1991 lehrte er Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts in Florenz. Seit 1991 ist er als Professor in Bielefeld tätig. In seinen Forschungsarbeiten konzentriert er sich neben der Wirtschafts- und Sozialgeschichte auf die Geschichte des institutionellen Wandels, insbesondere den Rheinischen Kapitalismus in Abgrenzung zum amerikanischen Kapitalismus. 

Kurzstatement

Der Mensch nimmt innerhalb der Natur insoweit eine Sonderstellung ein, als er „weltoffen" ist, d.h. äußere Einflüsse souverän aufnehmen kann und dabei die Fähigkeit besitzt, über die biologisch festgelegte Sicht der Außenwelt hinaus seine Umwelt zu formen. Zu den Institutionen, die so entstehen, zählt seit der Neolithischen Revolution das Verfügungsrecht über Eigentum und das Property-Rights-Paradigma gilt seither als ein leitendes Kriterium für menschliches Handeln. Soziale Experimente, die davon wieder abrücken wollten, sind bisher gescheitert (kanonisches Zinsverbot, Null-Wachstum) und auch die Sehnsucht des alten Werner Sombart blieb unerfüllt: „Wir sind nun auch reif für eine stationäre Wirtschaft und schicken die ›dynamische‹ Wirtschaft des Kapitalismus dahin, woher sie gekommen ist: zum Teufel."

Das menschliche Streben nach Wachstum und Renditen gehört in diesem Sinne heute zur selbstgeschaffenen Natur des Menschen. Was ursprünglich aus rationalen Entscheidungen folgte, die das Überleben von Menschen im Augen hatten, ist inzwischen vielfach durch a-rationale Entscheidungen noch weiter verfestigt und in den Rang religiöser (Ersatz-) Handlungen erhoben worden: „Akkumuliere, akkumuliere, das ist Moses und die Propheten." (Karl Marx)

Der Kapitalismus spiegelt also in seinen vielfältigen kulturellen Varianten den wirtschaftlichen status quo des Menschen wider, der ihm auch für Problemlösungen zur Verfügung steht. Dabei sind Expansionsdrang, Wachstum und Renditen nicht für alle denkbaren Varianten des Kapitalismus konstitutiv und darüber hinaus auch nicht unverzichtbar: „Wenn man also als den Hauptnachteil der Beseitigung des Kapitalismus Verlangsamung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts bezeichnet, so antworten wir, dass wir gerade darin einen Segen erblicken würden." (Sombart) Eine selbst geschaffene Natur des künftigen Menschen ließe auch Raum für kapitalbasiertes Wirtschaften, das eine synthetische Neuschöpfung der Welt anstrebt, die in stabile und langfristige Perspektiven eingebettet ist.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind durch äußere Einflüsse nicht zum Niedergang verdammt, sondern sehr wohl in der Lage, die Institutionen einer neuen Umwelt selbst zu schaffen, die auch unter gewandelten Rahmenbedingungen das Überleben der Menschen sichern.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Kulturen der Weltwirtschaft, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (zusammen mit David Gilgen/Andreas Leutzsch) (2012)

Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis in die Gegenwart, 2. Auflage, C. H. Beck Verlag, München (2011)

It's not the economy, stupid. Die politische Ökonomie der europäischen Integration in der Krise, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, 8. Jg., Heft 1, S. 1-23 (2010)

Des Kaisers neue Kleider? Wandlungen der Sozialen Marktwirtschaft, Roman Herzog Institut, München (2009)

Ausgewählte Zitate

Heute soll staatliches Sparen nicht die Wettbewerbsfähigkeit auf Weltmärkten stärken, sondern dort ansetzen, wo das Problem der Euro-Zone offen zu Tage tritt: an der Höhe der Verschuldung, die Staaten vom Kapitalmarkt abhängig und damit handlungsunfähig macht. Verschuldung durch weitere Verschuldung unschädlich zu machen hieße aber, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Selbst wenn die reichen Nachbarn das Risiko auf sich nehmen - die Probleme wären dadurch nicht gelöst, sondern eher neue geschaffen.
Interview: "Vergesst den Vergleich mit 1931"

Hinzu kommt ein wachsendes Misstrauen in eine vom Finanzmarkt dominierte Wirtschaft. [...] Dieses Misstrauen hat Tradition. Die führenden deutschen Ökonomen zogen schon im 19. Jahrhundert, „die sittliche Bedeutung" der Realwirtschaft der „Börse und Spekulation" vor. Die aktuelle Finanzkrise hat dieses Mißtrauen noch verschärft. Seit den 70er Jahren hat sich das Gewicht des Finanzsektors am Sozialprodukt verdreifacht, ohne dass daraus ebenso große Vorteile für das Gemeinwohl erkennbar sind. Die Verursacher der Finanzkrise wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen, stattdessen wurden Banken mit Steuergeld gerettet. Kurz, die Deutschen lieben die Börse nicht.
Interview: "Stuttgarter demonstrieren stellvertretend für alle Steuerzahler"

Eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzregierung könnte zu leicht geneigt sein, Besonderheiten der deutschen Wirtschaftskultur abzuschleifen, die nur schwer in den Rahmen standardkapitalistischer Normen passen - und noch dazu die anderen Staaten unter Erfolgsdruck setzen. Dazu zählt etwa die deutsche Bankenstruktur mit ihrem mehrheitlichen Anteil öffentlich-rechtlicher Institute. Diese entspricht zwar den Bedürfnissen der in Deutschland maßgebenden mittelständischen Wirtschaft, die eine einigermaßen gleichmäßige Mobilisierung der wirtschaftlichen Ressourcen über die Fläche ermöglicht. Ein genossenschaftlich oder öffentlich-rechtlich organisiertes Bankensystem entspricht aber nicht dem Modell eines nach reinen Wettbewerbsgesichtspunkten organisierten Kapitalmarktes. Ähnliches gilt für das duale System der Berufsbildung, das von außen gesehen den Nachteil zu haben scheint, eine höhere Studierendenquote zu verhindern. Mitbestimmung und Sozialstaat wären weitere Felder, auf denen komparative institutionelle Wettbewerbsvorteile auf dem Spiel stünden.
In: Deutschland, Europa und die Welt, FAZ, 9. Dezember 2011