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Birger Priddat

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Birger Priddat (geboren 1950) studierte Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Arbeitspsychologie und Politik an der Universität Hamburg. 1986 promovierte er dort im Fach Wirtschaftswissenschaften. Nach Assistententätigkeiten in Hamburg sowie einem Forschungsaufenthalt an der Universität Wien erhielt er 1991 einen Ruf an die Universität Witten/Herdecke, wo er Volkswirtschaftslehre und Philosophie lehrte. 2004 wechselte er auf den Lehrstuhl für Politische Ökonomie der Universität in Friedrichshafen. 2007 kehrte er nach Witten/Herdecke zurück, wo er sich als Professor für Politische Ökonomie in seiner Forschung auf Institutionenökonomie, Theoriegeschichte sowie Wirtschaftsethik und politische Philosophie konzentriert. Darüber hinaus forscht er über die Zusammenhänge zwischen Kultur, Kunst und Ökonomie im weitesten Sinne.

Kurzstatement

Das menschliche Streben nach Wachstum und Renditen ist primär Ergebnis kultureller Prägung. Traditionale Gesellschaften sind eher wachstumskonservativ. Man musste sich in ökologische Nischen einpassen. Erst durch Handel und industrielle Transformation natürlicher Ressourcen konnte eine Wachstumsgesellschaft entstehen.

Das kapitalistische System ist sui generis auf Wachstum angelegt. Der Ordnungsrahmen dient nicht der Begrenzung, sondern einer begleitenden Umverteilung.

Die Quintessenz kapitalistischen Wirtschaftens ist materielle Wohlfahrt - volkswirtschaftlich verstanden als Steigerung von Einkommen durch Beschäftigung und Investition. Alle anderen Formen der Wertsteigerung sind im originären Sinne nicht volkswirtschaftlich. Indem wir Happiness/Zufriedenheit als life-standard-Indikatoren statt Sozialprodukt einführen, führen wir neue Kriterien ein: nicht-materielle Wohlfahrt, deren Allokationsmuster wir noch nicht kennen.

Möglicherweise sind die großen Zukunftsthemen Ökologie, Klima, Energie, Wasser, Verkehr, Hunger nur durch Wachstumsökonomie zu bewältigen, aber als eine Ökonomie der volkswirtschaftlich sinnvollen Projektinvestitionen. Allein der technologisch-industrielle Aufwand lässt sich nicht kapitallos bewerkstelligen. Auch im human-capital-Bereich sind wir unterkapitalisiert. Unsere westliche Kultur bleibt eine Investitionskultur.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Akteure, Verträge, Netzwerke. Der kooperative Modus der Ökonomie, Metropolis, Marburg (2012)

Zu wenig Kapitalismus? Metropolis, Marburg (2011)

Wozu Wirtschaftsethik? Ethik und Ökonomie, Band 12, Metropolis, Marburg (2010)

Ausgewählte Zitate

"Wir erfahren ökologische Grenzen. Die Geschichte ist nicht offen, sie ist an die Natur gebunden. Wie viel Energie haben wir? Wie viel Geld? Wir verschulden uns ja nur, weil wir glauben, dass das Wachstum uns später hilft, die Schulden abzahlen zu können. Aber was, wenn es kein Wachstum mehr gibt? [...] Es gibt viel Liquidität, aber die muss angelegt werden. Vieles in der Realwirtschaft hat nicht die Rendite, die es in der Finanzwirtschaft gibt. In der Finanzwirtschaft werden keine wirklichen Geschäfte mehr gemacht, sondern - wie im Kasino - Wettgeschäfte. Verglichen damit hat die Realwirtschaft schlechte ¬Karten. Sie ist mühsam, Unternehmer brauchen Gelände, Arbeiter, sie müssen Steuern zahlen und Auflagen erfüllen. Ein Finanzgeschäft machen Sie mit drei Leuten und drei Laptops, am besten irgendwo am Strand. Dieses ganze dreckige Geschäft, die harte Arbeit in Fabriken, Werkstätten und auf Feldern, wird zum Mythos der Vergangenheit. Heute geht es um easy money, um arbeitslos erworbenes Geld. Das scheint das neue Glück zu sein."
Interview: "Aus Schuld mach Schulden"

„Der Wohlfahrtsstaat gibt seit Jahrzehnten mehr aus, als er einnimmt. Das kann nur über Schulden finanziert werden. Wenn es Wachstum gibt, ist das für die Banken kein Problem, weil die Tilgung über das Wachstum gesichert ist. Aber wenn auch die Zinsen nicht bedient werden, wird es schwierig. Dem liegt ein Systemfehler zugrunde. Politiker sind zu kurz im Amt. Sie verschieben die Probleme auf morgen. Stattdessen haben wir die direkte Demo¬kratie des Kapitals. Irgendwann werden Grenzen der Verschuldung erreicht, dann bricht das System zusammen."
Interview: "Aus Schuld mach Schulden"

"[...] das bisherige Menschenbild war zumindest einseitig. Soweit ich das beurteilen kann, liefert mittlerweile auch die empirische Verhaltensforschung sehr starke Argumente dafür, dass Menschen kooperieren und profitieren, wenn sie in ihrer Kompetenz anerkannt und fair behandelt werden. Die Zukunft gehört dem Homo reciprocans - dem Menschen, der sich auf den anderen bezieht."
Interview: "Es gibt mehr als nur eine Art Kapital"