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Memorandum "Das Wohlstandsquartett"

Anlässlich der Vorstellung des Memorandums "Das Wohlstandsquartett - Zur Messung des Wohlstands in Deutschland und anderen früh industrialisierten Ländern" am 7. Dezember in Berlin erklären Professor Dr. Meinhard Miegel, Martin Schulte und Stefanie Wahl:

Wohlstand wird in Deutschland und anderen früh industrialisierten Ländern noch immer vorrangig mit dem BIP gemessen. Deshalb wird er in diesen Ländern weitgehend mit materiellem Wohlstand gleichgesetzt. Doch Wohlstand ist mehr. Er umfasst auch die Befriedung einer Gesellschaft, stabile soziale Beziehungen, Freiheitsrechte, Gesundheit, Bildung, eine intakte Umwelt und vieles andere mehr.

Um den Wohlstand in seiner Breite und damit wirklichkeitsnäher zu erfassen, schlägt das Denkwerk Zukunft vor, ihn künftig anhand von vier ausgewählten Indikatoren, gewissermaßen eines Wohlstandsquartetts, zu messen:

  • Pro-Kopf-BIP

    Trotz aller Schwächen ist das BIP noch immer der beste Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes und die Versorgung seiner Bevölkerung mit Gütern und Diensten. Für das BIP sprechen auch der hohe Gewöhnungseffekt und seine Aktualität.
  • 80/20-Relation (Verhältnis der verfügbaren Einkommen des wirtschaftlich stärksten zum wirtschaftlich schwächsten Fünftel der Bevölkerung)

    Da Bevölkerungsschichten unterschiedlich an materiellem Wohlstand teilhaben, ist die Einkommensverteilung ein wichtiger Wohlstandsmaßstab. Zudem ist sie für die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung von großer Bedeutung.
  • Gesellschaftliche Ausgrenzungsquote (Bevölkerungsanteil, der sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt)

    Die gesellschaftliche Ausgrenzungsquote ist ein wichtiger Gradmesser gesellschaftlichen Zusammenhalts, der angesichts wachsender Migrantenanteile an Bedeutung gewinnt. Zudem sind Menschen, die nur schwach in die Gesellschaft eingebunden sind, deutlich unzufriedener als sozial gut vernetzte.
  • Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur globalen Biokapazität (Verbrauch natürlicher Ressourcen im Verhältnis zur ökologischen Tragfähigkeit der Erde)

    Der ökologische Fußabdruck bildet den Substanzverzehr ab, der mit der  Produktion und dem Konsum von Gütern und Diensten einhergeht. Damit ist er ein unverzichtbares Korrektiv zum BIP.

Das Denkwerk Zukunft hat auf die Zusammenfassung der vier Indikatoren zu einem einheitlichen Wohlstandsindex verzichtet, weil es zum einen kein allgemein gültiges Verfahren für die Normierung und Gewichtung der Einzelindikatoren gibt und bei einer Verschmelzung wichtige Informationen verloren gehen. Zum anderen sollen Gesellschaft und Politik durch eine getrennte Ausweisung der Indikatoren ein Bewusstsein für Bedeutung und Verlauf nicht-materieller Wohlstandsindikatoren entwickeln. Die Ersetzung des BIP durch wiederum nur einen einzigen Wohlstandsindex würde das Erreichen dieses Ziels erschweren.

Wird der Wohlstand in Deutschland und anderen EU-Ländern mit dem Wohlstandsquartett gemessen, verschlechtert sich deren Wohlstandsbilanz im Vergleich zum BIP beträchtlich. So finden sich beispielsweise das Vereinigte Königreich und Frankreich, die aufgrund eines überdurchschnittlichen Pro-Kopf-BIPs in der öffentlichen Wahrnehmung in der Rangfolge wohlhabender Länder weit oben liegen, im Mittelfeld bzw. der unteren Hälfte der EU-Länder wieder, wenn ökologische oder gesellschaftliche Wohlstandsindikatoren in die Bewertung einbezogen werden. Umgekehrt werden Länder bei der Wohlstandsbetrachtung aufgewertet, die wie Slowenien, Tschechien und die Slowakei zwar über bescheideneren materiellen Wohlstand verfügen, dafür aber geringe Einkommensungleichheiten und gesell-schaftliche Ausgrenzungsquoten aufweisen.

Klar zeigt sich, dass die materielle Wohlstandsmehrung mit wachsender Ausbeutung von Natur und Umwelt einhergeht. Ökologisch ist kein EU-Land wirklich wohlhabend. Würden alle Menschen so wirtschaften und leben wie die EU-Bürger, würden sie knapp drei Mal mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, wie die Erde zur Verfügung stellt.

Deutschland ist im EU-Vergleich überdurchschnittlich wohlhabend. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zu den flächen- und bevölkerungsreichen EU-Ländern. Sein materieller Wohlstand ist überdurchschnittlich. Allerdings wird auch er mit einem Raubbau an Natur und Umwelt erkauft. Die unterdurchschnittliche gesellschaftliche Ausgrenzungsquote von derzeit 8,5 Prozent lässt zudem auf eine intakte, solidarische Gesellschaft schließen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die deutsche Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren von allen westeuropäischen EU-Ländern materiell am stärksten auseinander driftete.

Offensichtlich wirkten gesellschaftliche Institutionen wie der Arbeitsmarkt oder Vereine, aber auch die lokale Verwurzelung integrierend, so dass sich die wachsende Einkommenskluft nicht in einem ähnlich hohen Anstieg der gesellschaftlichen Ausgrenzungsquote niederschlug. Dies könnte sich künftig allerdings ändern, wenn materieller Wohlstand und Konsummöglichkeiten noch größerer Bevölkerungsteile stagnieren bzw. sinken und die Einkommensungleichheit weiter wächst. Die sozio-ökonomischen Indikatoren des Wohlstandsquartetts dienen somit auch als gesellschaftliches Frühwarnsystem.

Das komplette Memorandum kann unter www.wohlstandsquartett.de herunter-geladen werden.

Für Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:

Stefanie Wahl, E-Mail: stefanie.wahl@denkwerkzukunft.de und
Martin Schulte, E-Mail: martin.schulte@denkwerkzukunft.de

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