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Einkommensarmut ist relativ

Auch wenn in vielen früh industrialisierten Ländern die Einkommensunterschiede seit geraumer Zeit zunehmen, gehören selbst die ärmsten fünf Prozent ihrer Bevölkerungen noch immer zumindest zu den wohlhabendsten zwei Fünfteln, oft sogar zum wohlhabendsten Fünftel der Weltbevölkerung.

Wo sich beispielsweise die Einkommen der US-Amerikaner auf der globalen Einkommensskala befinden, zeigt Schaubild 1. Die amerikanische Bevölkerung wird in zwanzig Gruppen von jeweils fünf Prozent geteilt, angefangen von den ärmsten fünf Prozent (1, horizontale Achse) hin zu den reichsten (20, horizontale Achse). Anschließend wird das jeweilige Einkommen aller zwanzig Gruppen berechnet. Die ärmsten fünf Prozent der US-Amerikaner verfügten 2005 über ein Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich 3.000 bis 4.000 US-Dollar jährlich.[1]

Die vertikale Achse verdeutlicht, welcher Position dies in der globalen Einkommensverteilung entspricht. Auf ihr ist die Weltbevölkerung unterteilt nach Einkommensprozenten (1 niedrigstes Einkommen, 100 höchstes Einkommen) abgebildet.

Wie Schaubild 1 verdeutlicht, liegen die ärmsten fünf Prozent der Amerikaner bei 60 Prozent (Schnittpunkt der grünen mit der roten gestrichelten Linie). Sie erzielten somit ein höheres Einkommen als 60 Prozent der Weltbevölkerung. Oder anders gewendet: sie gehörten zu den wohlhabendsten 40 Prozent. Die reichsten fünf Prozent der US-Amerikaner zählten zum reichsten Prozent der Weltbevölkerung.

Schaubild 1 zeigt weiter, dass die Bevölkerungen der so genannten BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China 2005 über alle zwanzig Einkommensgruppen hinweg wesentlich geringere Einkommen als die US-Amerikaner aufwiesen, denn sie befinden sich alle unterhalb der USA, das heißt der grünen Linie. Die geringsten Einkommen - wiederum über alle Einkommensgruppen hinweg - erzielten die Inder. Die ärmsten fünf Prozent der indischen Bevölkerung gehörten 2005 zu den Ärmsten der Weltbevölkerung, während die reichsten fünf Prozent der Inder das Niveau der wirtschaftlich schwächsten fünf Prozent der US-Amerikaner lediglich geringfügig überschritten (Schnittpunkt der braunen mit der roten gestrichelten Linie). Zwar gibt es in Indien inzwischen viele Millionäre und auch einige Milliardäre, doch fällt ihre Zahl angesichts einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden - fünf Prozent entsprechen demnach 60 Millionen - nicht ins Gewicht. Bis eine namhafte Zahl von Indern den Lebensstandard der amerikanischen Mittelklasse erreicht, wird also noch einige Zeit vergehen.

In China dürfte dies früher der Fall sein. Zwar ist der Einkommensabstand zu den USA - wie Schaubild 1 zeigt - noch immer deutlich, doch gehören die reichsten fünf Prozent der Chinesen mittlerweile zum wohlhabendsten Viertel der Weltbevölkerung. Das reichste Prozent der Chinesen - 13,5 Millionen Menschen - hatte 2005 sogar ein höheres Einkommen als 93 Prozent der Weltbevölkerung.[2]

Brasilien weist die größte Einkommensspreizung der BRIC-Staaten auf. Die ärmsten fünf Prozent der Brasilianer rangieren auf der globalen Einkommensskala noch unter den Indern. Die reichsten fünf Prozent der Brasilianer gehören dagegen zu den wirtschaftlich stärksten zwei Prozent der Weltbevölkerung.

Schaubild 1:
Position von US-Amerikanern, Russen, Brasilianern, Indern und Chinesen in der globalen Einkommensverteilung 2005

 

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Auf der horizontalen Linie ist die jeweilige Bevölkerung in Zwanzigstel unterteilt abgebildet. Die vertikale Linie gibt die Einkommensverteilung der Weltbevölkerung wieder. Die rote gestrichelte Linie zeigt die Position der ärmsten fünf Prozent der US-Amerikaner in der globalen Einkommensverteilung an.

Quelle: Milanovic (2012), S. 21.

Angesichts der globalen Einkommensunterschiede wird die Einkommensarmut in den früh industrialisierten Ländern relativiert. Das gilt auch für Deutschland, wo die ärmsten fünf Prozent sogar zum wohlhabendsten Fünftel der Weltbevölkerung zählen.[3] Sie genießen damit einen Lebensstandard, von dem 80 Prozent der Weltbevölkerung nur träumen können.

 

(Stand: September 2013, Stefanie Wahl)

 

 


[1]    Vgl. Milanovic, Branko (2012), Global Income Inequality by the Numbers: In History and Now, The World Bank, Policy Research Working Paper 6259, November.

[2]    Vgl. a.a.O., S. 23.

[3]    Vgl. a.a.O., S. 24.