Zeit zu handeln


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Auszüge aus der Podiumsdiskussion

Was ist zu tun? Schlussfolgerungen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik

Miegel: Einerseits ist unsere bisherige Wirtschafts- und Lebensweise nicht nachhaltig. Anderseits sind alternative Wirtschafts- und Lebensformen nicht stabil. Was folgt daraus?

Traulsen: Um zu einer stabilen Lösung zu kommen, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens. Allerdings ist auch in der Biologie, für die ich spreche, keineswegs geklärt, wie man Individuen dazu bringt, etwas zu tun, was nicht nur ihnen selbst sondern der Weltbevölkerung insgesamt nutzt.

Brodbeck: Hier können wir von den Erfahrungen anderer Kulturen profitieren. So war in der buddhistischen Tradition der Toleranzgedanke schon 200 Jahre vor Christus Teil der Rechtsnorm. Wir müssen nicht erneut das Rad erfinden, sondern es genügt, das vorhandene Potential optimal zu nutzen. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, wo die bisherige Entwicklung schief gelaufen ist.

Miegel: An welcher Stelle beginnen denn Dinge schief zu laufen?

Welzer: Wir alle bewegen uns auf spektakuläre Weise am eigentlichen Problem vorbei. Wir sind mit einem Endlichkeitsproblem konfrontiert, das dem bestehenden Gesellschaftsmodell vollständig widerspricht. Vielleicht müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Lösung gibt.

Veränderung der politischen Rahmenbedingungen erforderlich

Miegel: Was soll an die Stelle der herrschenden Kultur der Expansion treten?

von Uexküll: Eine Kultur der Nachhaltigkeit. Hierzu müssen wir neben so genannten Best Practice Beispielen auf individueller Ebene, d.h. nachhaltiges Verhalten von Verbrauchern, Unternehmern, Bürgern, die politischen Rahmenbedingungen verändern. Die Politik ist noch immer beherrscht vom Wachstumszwang. Um diesen zu überwinden, müssen die derzeitigen Eliten entmachtet werden. Denn für sie gibt es nur die Alternative zwischen dem sozialen Zusammenbruch aufgrund von Massenarbeitslosigkeit und dem ökologischen Zusammenbruch, der natürlich auch zum sozialen Zusammenbruch führt. Dabei kann eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsordnung sehr arbeitsintensiv sein.

Wiegandt: Ohne Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird der Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft nicht gelingen. Aber wir dürfen nicht die Politiker schelten, denn diese sind in einer Demokratie ohne entsprechende Mehrheiten machtlos. Um Mehrheiten zu gewinnen, müssen wir den Diskurs über die Notwendigkeit eines Wandels hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft intensivieren. Wir müssen die Bevölkerung z.B. darüber aufklären, dass die steigende Arbeitsproduktivität durch wachsenden Energie- und Ressourcenverkehr erkauft worden ist. Der Grund: Ressourcen und Energie sind zu billig. Würden wir die wirklichen Kosten für Ressourcen und Energie einpreisen, würde der Faktor Arbeit plötzlich preiswert - zumal wir ihn noch künstlich verteuert haben. Aber setzen Sie das einmal politisch durch! Wir werden den Übergang nur schaffen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung begreift, dass wir eine andere Zukunft brauchen, in der die Lebensqualität möglicherweise sogar höher ist als heute.

Brodbeck: Innerhalb meiner eigenen Zunft, der Ökonomie, herrscht die irrige Vorstellung, es gebe durch den Preismechanismus die Möglichkeit, den Umweltverbrauch mit einem richtigen Preis zu versehen. Preise drücken eine Tauschbeziehung zwischen Menschen aus. Das Verhältnis Mensch-Natur ist durch Geld nicht auszudrücken. Darin sehe ich die Hauptschwierigkeit.

Hinzu kommt, dass die Entwicklung des modernen Kapitalismus mit einer Zurückdrängung der Ethik einhergeht. In allen Kulturen, auch in der westlichen, wurde Geldgier in Form von Wucher scharf kritisiert. Es gab beispielsweise Gesetze gegen Wucher. Die Wirtschaft war moralisch verankert. Der Kapitalismus ist aufgrund des Zinsmechanismus auf Wachstum angelegt. 2008 waren in der kapitalistischen Welt Renditen von 25, 30, 35 Prozent an der Tagesordnung. Die Spekulation im Nahrungsmittelbereich hat einer Studie der OECD zufolge zu überhöhten Preisen und mehr Armut und Hunger geführt. Das Wachstum war absolut destruktiv. Die Finanzkrise ist auch eine geistige Krise. Wir brauchen deshalb eine sehr grundlegende geistige Wende.

Miegel: Können wir Anleihen bei anderen Kulturen nehmen, um unsere expansive Kultur zu überwinden?

Brodbeck: Der Buddhismus bietet hier sicher Anknüpfungspunkte. Das kapitalistische Denken ist nicht genetisch begründet, sondern das Ergebnis einer gewissen Erziehung und Prägung. Wir sind auf einem falschen Gewohnheitspfad. Wir müssen unsere Denkformen als Gewohnheiten erkennen und diese ändern.

Traulsen: Dies wird nicht einfach sein, denn das in der Wirtschaftwissenschaft vorherrschende Menschenbild des homo oeconomicus ist mit dem des moralisch handelnden Menschen nicht kompatibel.

Müssen die herrschenden Eliten entmachtet werden?

Miegel: Herr von Uexküll hat eine Entmachtung der Eliten gefordert. Was halten Sie davon?

Welzer: Ich halte das nicht für zielführend. Wir brauchen die Eliten, um Veränderungsprozesse anzustoßen und durchzuführen. Wir brauchen auch die von Herrn Wiegandt geforderten Diskurse über Nachhaltigkeit und vor allem die Kritik an den Gegendiskursen. Wir erleben einen pausenlosen Gegendiskurs gegen Ideen wie Nachhaltigkeit, Rückbau des Wachstums und andere.

von Uexküll: Mit den Eliten, die die Probleme geschaffen haben, können Sie diese nicht lösen. Sie brauchen neues Denken, neue Eliten.

Was kann man von anderen Kulturen lernen? In Thailand wurde noch in den 1950er Jahren im ganzen Erziehungswesen der buddhistische Wert der Genügsamkeit gelehrt, bis die Amerikaner kamen und sagten, so könne man keine Konsumgesellschaft aufbauen und dieser Teil der Erziehung abgeschafft wurde. Auf Samoa wird der Mensch nur für das respektiert und geehrt, was er für die Gemeinschaft tut. Wer nur für sich selbst lebt und materielle Reichtümer ansammelt, wird als komischer Kauz angesehen. Es ist also eine Frage der Erziehung. Wir, die Bürger, müssen selbst Verantwortung für das Ganze übernehmen. Es ist illusionär, anzunehmen, die da oben, die die Probleme verursacht haben, könnten diese lösen.

Miegel: Wie definieren wir Eliten?

Welzer: Eliten sind nicht homogen. In jeder Bevölkerungsgruppe ist das Verhältnis von Schlechten, Mittelmäßigen und Guten gleich. Deshalb ist Eliteentmachtung kein geeignetes Mittel. Man muss die Doofen entmachten.

Wiegandt: Man muss allerdings innerhalb der Wirtschaftselite zwischen den so genannten Finanzeliten und den Eliten in der Produktionswirtschaft unterscheiden. Bei ersteren ist fraglich, ob sie in der Lage sind umzudenken. Letztere verhalten sich bei den gegebenen Rahmenbedingungen absolut vernünftig. Wenn es ökonomisch vernünftig ist, einen Baum in Europa zu zerlegen, die Bretter in China verarbeiten zu lassen und diese zurückzuverlagern und hier zu verteilen, dann stimmt an unseren Rahmenbedingungen etwas nicht. Deshalb brauchen wir schnellstmöglich andere wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen. Wir können nicht die nächsten zwanzig Jahre Grundsatzdebatten führen.

Miegel: Was ist zu tun?

Wiegandt: Als wesentliche heutige Rahmenbedingungen in den 1950er Jahren geschaffen wurden, lebten nur 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt. Seither ist die Weltbevölkerung um 4,2 Milliarden gewachsen und das Weltsozialprodukt hat sich verzehnfacht. Die Explosion der Weltbevölkerung und die dramatische Erhöhung der wirtschaftlichen Aktivitäten haben an alle Ressourcen und Ökosysteme völlig neue Anforderungen gestellt. Eine Anpassung der Rahmenbedingungen wurde jedoch bis heute versäumt. Gerade jetzt baut sich infolge des billigen Geldes, das zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise in Form von Konjunktur- und Unterstützungsprogrammen geflossen ist, wieder eine neue Spekulationswelle auf. Dies gilt es zu verhindern. Hier sind die Regierungen gefragt.

Chaotischer Übergang wahrscheinlich

Miegel: Warum halten wir so zäh an den alten Strukturen fest?

von Uexküll: Weil wir noch immer von Menschen regiert werden, die eine bestimmte Ideologie haben. Wir haben Jahrzehnte verschwendet, in denen die Strukturen hätten angepasst werden müssen. Nun kommen Veränderungen auf uns zu, die zu schnell und umfangreich sein werden, als dass sie ordnungsgemäß bewältigt werden könnten. Sie werden chaotisch sein. Je tiefer die Krise wird, desto schwieriger wird es, einen geordneten Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung zu bewerkstelligen. Was kann ich tun: in die Politik gehen. Nicht lebenslang, aber zeitweise. Heute sagen die meisten, ich sei ein Idiot, wenn ich in die Politik ginge. Diese Politikverachtung ist einer der Hauptgründe für die Schwierigkeiten, die notwendigen Veränderungen durchzusetzen.

Miegel: Der Übergang ist nach Einschätzung von Herrn von Uexküll voraussichtlich chaotisch. Wird das von Ihnen geteilt?

Welzer: Absolut. Wir werden schnell Einigkeit darüber herstellen können, dass wir kein fertiges Bild davon haben, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen wird. Das Problem ist, dass wir erst eine Form von engagierter Gesellschaft schaffen müssen. Die Mitglieder der Gesellschaft müssen sich als Teil eines politischen Gemeinwesens verstehen und nicht als Politikkonsumenten, als Konsumenten von Anne-Will-Politik und sonstiger Pseudopolitik. Das heißt aber, diese reaktivierte Gesellschaft muss sich auf einen Weg des Lernens begeben. Denn wir sind ja in vielerlei Hinsicht mit Problemen konfrontiert, für die es keine vorformatierten Lösungen gibt. Wir können uns also als eine lernende Gesellschaft neu erfinden. Wir müssen eine Gesellschaft von Selberdenkern werden. Das ist eine faszinierende Herausforderung.

Wiegandt: Ich möchte noch mal einen pragmatischen Bezug in die Diskussion bringen. Was sind die großen Aufgaben, die wir lösen müssen? Wir müssen z.B. bis 2050 den CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr auf zwei Tonnen senken. Heute liegt er weltweit im Durchschnitt bei mehr als vier Tonnen, in den USA bei zwanzig, in Deutschland bei zehn Tonnen. Wir müssen zudem den Ressourcenverbrauch bis 2050 halbieren. Ein Beispiel: Die Abholzung und das Abbrennen der Regenwälder verursachen 18 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Das ist fast so viel wie das Welttransportsystem. Wenn wir den Entwicklungsländern den Regenwald "abkauften", d.h. ihre Einnahmeausfälle ausglichen, würden wir einen riesigen Sprung in Richtung Klimaschutz machen. Ein zweites Beispiel ist die Ersetzung aller Kohlekraftwerke in den Entwicklungs- und Schwellenländern durch den neuesten Stand der Technik. Hierdurch könnten zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes vermieden werden. Für diese Projekte müssen wir die Menschen mobilisieren.

Miegel: Herr Brodbeck, erschreckt Sie das Szenario eines chaotischen Übergangs?

Brodbeck: Es ist mir schon lange klar, dass es so sein wird. Die reale Wirtschaft ist aus sich heraus nicht vernünftig, sondern sie hat sich beispielsweise dem Finanzmarkt unterworfen.

Der Vorschlag, den Regenwald durch die früh industrialisierten Länder aufkaufen zu lassen, stammt übrigens von Mitte der 1970er Jahre. Wo hat er sich durchgesetzt? Ein weiteres Beispiel: Wir reparieren nicht das Finanzmarktsystem, sondern pumpen erneut Geld in ein schwarzes Loch. Was wir brauchen, ist eine grundlegende Änderung der Denkform.

Miegel: Plädieren Sie für eine Weltregierung und eine Weltrechtsordnung?

Brodbeck: Nein, nur für einen globalen Diskurs auf lokaler Ebene. Wir haben heute eine Weltregierung, das ist die Herrschaft des Geldes. Wir müssen sie abschaffen zugunsten lokaler Initiativen, lokaler Orientierung und der Nutzung lokaler kultureller Traditionen. Hier besteht genügend Potential.

von Uexküll: Das größte Potential ist das der Natur, z.B. in Form erneuerbarer Energien. Deshalb müssen wir zu aller erst ein Notprogramm zur Verbreitung erneuerbarer Energien entwickeln. In zehn Jahren müssen hundert Prozent der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien stammen. An zweiter Stelle steht der ökologische Umbau der Industriegesellschaft nach dem Kreislaufprinzip. Neben diesen rein praktischen Maßnahmen müssen wir die Regeln, Institutionen und Informationssysteme der Gesellschaft verändern. Es ist sehr schwierig, Werte wie Großzügigkeit und Mitmenschlichkeit in einer Gesellschaft zu leben, deren Regeln, Institutionen und Informationsströme auf die Förderung niedriger menschlicher Eigenschaften ausgerichtet sind.

Veränderung des Denkens als gangbarer Weg?

Miegel: Wir haben im Wesentlichen zwei Strategien identifiziert: Die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen und die Veränderung der Denkens. Ist letzteres ein gangbarer Weg?

Traulsen: Es ist sehr schwierig, Menschen zu gemeinwohlorientiertem, altruistischem Handeln zu bringen. Beispielsweise sinkt die Spendenbereitschaft massiv, wenn Menschen unbeobachtet und anonym entscheiden können, ob sie Geld an UNICEF spenden oder für sich behalten.

Miegel: Sind die Menschen schlecht?

Welzer: Dass Menschen nicht sozial sind, ist aus evolutionärer Sicht falsch. Es gibt keine Gattung, die so auf Sozialität und Kooperation angelegt ist, wie der Mensch.

Denken verändern allein funktioniert allerdings nicht. Wir müssen auch das Handeln, d.h. die Praxis verändern. Menschen handeln nicht nach abstrakten Kausalitäten oder Kosten-Nutzen-Rechnungen, sondern innerhalb von Beziehungen, innerhalb von gesellschaftlicher Praxis. D.h. wir müssen - so paradox das klingt - Praxis verändern, um Praxis zu verändern.

Miegel: Die Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung steht unter dem Motto "Wachstum. Bildung. Zusammenhalt." Ist die Bundesregierung mit dem Begriff "Zusammenhalt" auf dem richtigen Weg?

Welzer: Zusammenhalt kann man nicht postulieren. Er ist eine Form gesellschaftlicher Praxis, die durch das erste Wort des Dreiklangs "Wachstum" konterkariert wird. Mit dem Postulat Wachstum wird etwas zum Zweck, was nur Mittel sein kann.

von Uexküll: Die herrschenden Eliten wissen genau, dass es so nicht weiter gehen kann. Aber sie haben Angst vor dem Übergang. Einer englischen Studie zufolge wünscht die große Mehrheit der Bevölkerung weniger Konsum, weniger Arbeit und weniger Druck. Wenn Politiker dies ernst nehmen und realistische Strategien für den Übergang präsentieren, was in Zeiten der Globalisierung zugegebenermaßen schwierig ist, wird die Bevölkerung ihnen folgen. Möglicherweise werden dann viele Menschen aufatmen und sagen: Endlich sagt einer die Wahrheit.

Miegel: Hat also das Umdenken schon stattgefunden?

von Uexküll: Wir sind alle potentiell Engel und Teufel. Wir müssen an ganz bestimmte Werte im Menschen appellieren und dies auch begründen. Viele Menschen vertreten die Auffassung, wenn sie weniger konsumierten, ginge die Wirtschaft kaputt. Sie glauben tatsächlich, sie hätten eine Verpflichtung zu konsumieren. Das ist bei vielen das Problem.

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