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Sehr hoher sozio-ökonomischer Entwicklungsstand und ökologische Nachhaltigkeit bisher unvereinbar

Noch immer gelingt es keinem Land der Erde, einen hohen Entwicklungsstand mit einem nachhaltigen Ressourcenverbrauch zu verbinden. Das zeigt die Zusammenschau der neuesten Daten des Human Development Index (HDI)[1] und des Ökologischen Fußabdrucks im Verhältnis zur global verfügbaren Biokapazität (ÖF/BC)[2] (Schaubild 1).

Schaubild 1: Human Development Index 2012 und Ökologischer Fußabdruck 2009

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Quellen: Global Footprint Network (2013), UNDP (2013).

Um den Entwicklungsstand eines Landes zu bestimmen, werden die 169 Länder, für die sowohl der HDI als auch der ÖF vorliegen, in Quartile geteilt. Die Länder im obersten Viertel gelten als "sehr hoch entwickelt". Ihr HDI beträgt 0,800 und mehr. Die Länder im untersten Viertel werden als "niedrig entwickelt" eingestuft. Ihr HDI liegt bei 0,535 und darunter.

Zu den 43 sehr hoch entwickelten Ländern zählten 2012 die früh industrialisierten Länder sowie einige asiatische Länder wie Südkorea, Singapur, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Den Spitzenplatz nahm weiter Norwegen mit einem HDI von 0,955 ein. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Australien und die USA. Deutschland rangierte hinter den Niederlanden auf Rang fünf. 2011 hatte es noch auf dem achten Rang gelegen. Insgesamt lebte 2012 in den 43 Ländern mit 1,3 Milliarden Menschen etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung.

Allerdings befand sich keines dieser Länder innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde. Oder anders gewendet: Keines dieser Länder hatte 2009 einen ökologischen Fußabdruck im Verhältnis zur global verfügbaren Biokapazität von unter Eins, obwohl dieser vor allem in den früh industrialisierten Ländern aufgrund des Wirtschaftseinbruchs im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise leicht abgenommen hatte. Damit verbrauchen die sehr hoch entwickelten Länder erneuerbare Ressourcen noch immer schneller, als die Erde diese zu regenerieren vermag und stoßen mehr Schadstoffe aus, als von Luft, Boden und Wasser abgebaut werden können. Kurz, sie leben über ihre Verhältnisse und beeinträchtigen damit nicht nur ihre eigenen Lebensgrundlagen, sondern auch die anderer Völker und künftiger Generationen.

Dem stehen jene Länder gegenüber, die die Tragfähigkeit der Erde nicht überfordern - aber nicht weil sie so ressourcenschonend produzieren und konsumieren, sondern weil sie materiell arm sind und im weltweiten Vergleich eine geringe Lebenserwartung und Bildung aufweisen. Dieser Gruppe gehören derzeit 66 Länder an, unter ihnen Indien, Ägypten und Peru. Insgesamt lebten 2012 hier fast drei Milliarden Menschen bzw. 43 Prozent der Weltbevölkerung.

Eine dritte Gruppe umfasst 60 Länder, die zwar nicht zu den sehr hoch entwickelten Ländern zählen, aber bereits die Tragfähigkeitsgrenze der Erde zum Teil erheblich überschritten haben. Ihr gehörten 2012 2,6 Milliarden Menschen bzw. 37 Prozent der Weltbevölkerung an, darunter die Einwohner Chinas, Brasiliens und der Türkei. In der Gruppe befinden sich aber auch Länder, die zu den am wenigsten entwickelten der Welt gehören wie Mali, Niger und der Tschad. Sie sind materiell arm und haben aufgrund wenig ausgebauter Bildungssysteme kaum Aussichten, diesen Zustand in absehbarer Zeit zu überwinden. Trotzdem gelingt es ihnen schon heute nicht, nachhaltig zu wirtschaften.

Einige Länder kommen dem Ideal, einen HDI von mindestens 0,8 und einen Ökologischen Fußabdruck im Verhältnis zur global verfügbaren Biokapazität (ÖF/BC) von unter Eins zu verbinden, ziemlich nahe. In Europa sind dies Montenegro und Albanien. Ihr HDI lag 2012 bei 0,791 bzw. 0,749, ihr ÖF/BC bei 0,79 bzw. 0,75. Tunesien, Armenien, Sri Lanka, Kolumbien, Costa Rica und Kuba weisen eine ähnliche Kombination auf. Allerdings ist auch hier der vergleichsweise kleine Ökologische Fußabdruck eher auf geringe wirtschaftliche Aktivitäten als auf einen effizienten Umgang mit Ressourcen zurückzuführen.

Will die Menschheit überleben, muss sie innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde wirtschaften. Zwar kann sie diese durch Investitionen in Wissen und Können bis zu einem gewissen Grad verschieben. Doch zeigen die zurückliegenden Jahre, dass dies schwerer ist als vielfach gedacht. Trotz enormer Anstrengungen - immerhin wurden in Deutschland 2012 drei Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben[3] - ist dies bisher kaum gelungen. Deshalb müssen insbesondere die sehr hoch entwickelten Länder darüber hinaus ihre materiellen Lebensbedingungen ihrem jeweiligen Wissen- und Könnensstand anpassen. Ein Beitrag hierzu ist der Verzicht auf gedankenlosen oder demonstrativen Konsum, die Befreiung von Überflüssigem und die bessere Erschließung immaterieller Wohlstandsquellen.

(Stand, Mai 2014, Karsten Gödderz)

 


[1]   Der Human Development Index (HDI) setzt sich aus Indikatoren für Gesundheit, Bildung und Lebensstandard zusammen. Null zeigt einen sehr niedrigen, Eins einen sehr hohen sozio-ökonomischen Entwicklungsstand an. Vgl. UNDP (2013), Human Development Report 2013. The Rise of the South: Human Progress in a Diverse World, New York, URL: http://hdr.undp.org/sites/default/files/reports/14/hdr2013_en_complete.pdf 

[2] Der Ökologische Fußabdruck zeigt, welche produktive Land- und Wasserfläche (die Biokapazität) eine Bevölkerung pro Jahr benötigt, um die von ihr konsumierten Güter und Dienste zu produzieren und die dabei anfallenden Reststoffe (Abfälle, Emissionen) zu absorbieren. Setzt man den Ökologischen Fußabdruck (ÖF) eines Landes in Bezug zu einem globalen Durchschnittswert der verfügbaren Biokapazität (BC) erhält man ein Maß für die Nachhaltigkeit von Lebens- und Wirtschaftsweisen der Bevölkerung eines Landes (ÖF/BC). Bei einem Wert von Eins verbraucht die Bevölkerung eines Landes genau die zur Verfügung stehende Biokapazität. Sie bewegt sich demnach auf der Tragfähigkeitsgrenze der Erde. Übersteigt in einem Land der ÖF/BC diesen Wert, bedeutet dies, dass - würden weltweit alle Menschen so leben - jährlich mehr verbraucht würde als die Erde im Lauf eines Jahres regenerieren kann. Vgl. Global Footprint Network (2013), National Footprint Accounts, 2012 Edition, URL: http://www.footprintnetwork.org

[3] Vgl. BMBF (2013), 3-Prozent-Ziel erreicht, Pressemitteilung 137/2013, Berlin, URL: http://www.bmbf.de/press/3539.php