Zeit zu handeln


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Divergierende Prognosen zur globalen Bevölkerungsentwicklung

Prognosen der United Nations ("Standard Variante", Technical paper No. 2013/3) zufolge wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 auf fast 11 Mrd. Menschen angewachsen sein. Die Standardszenarien von D. Meadows und Mitarbeitern von 1972, überprüft 2004[1], sind dramatisch anders: Abnahme der Weltbevölkerung auf die Hälfte der jetzigen Zahl, wobei - optimistisch - keine Kriege, keine Seuchen eingerechnet sind und ein funktionierender Markt angenommen ist. Meadows hat im Gegensatz zu den UN zusätzlich zu demografischen Daten die Verteuerung und Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen berücksichtigt, und damit verbunden den Rückgang der Industrieproduktion, der Landwirtschaft, und den schließlich eintretenden katastrophalen Nahrungsmangel. Mit einem anderen Ansatz als dem von Meadows kommt M. Wackernagel[2] zum Ergebnis, dass bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Tragfähigkeit der Erde überschritten wurde und wir seitdem ökologische Schulden anhäufen - als CO2 in der Atmosphäre und im Meerwasser. 

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Sind die Berechnungen von Meadows und Wackernagel weniger - oder aber womöglich besser - fundiert als die der UN? Die Weltbevölkerung hat im letzten Jahrhundert eine biologische Massenvermehrung erfahren. Wie Biologen wissen, brechen Massenvermehrungen gewöhnlich so schnell wie sie entstehen wieder zusammen. Dringender Aufruf von Meadows und anderen: Auf die letztlich unumgängliche Abnahme der Bevölkerungszahl auf ein für die Erde tragbares Maß sollte sich die Menschheit gemeinschaftlich vorbereiten, um massive Konflikte im Zusammenleben und weiteren Schaden an der Natur - an unserer biologischen Lebensgrundlage - zu vermeiden.

Daran könnten wir in Deutschland vorrangig arbeiten und mit gutem Beispiel vorangehen, solange es uns noch gut geht. Hier sind ohne Zweifel die Wissenschaftsorganisationen einschließlich unserer Akademien, auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefragt, insbesondere bei der Auswahl von Forschungsthemen. Da in den letzten 100 Jahren die Anzahl der Themen, deren Bearbeitung man fördern könnte, allgemein gewaltig angestiegen ist, sollten wir künftige  Forschung in erster Linie auf den Erhalt von Umwelt und Lebensbedingungen ausrichten.[3] Dies muss gleichermaßen für Grundlagenforschung wie für Anwendungsforschung gelten. Unerlässlich wäre  auch die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen, vor allem zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, wobei hier die gegenseitige Verständigung noch erheblich verbessert werden muss.[4] Notabene: Um vorausschauend handeln zu können, wäre es notwendig, die Prognosen der Bevölkerungsentwicklung - mit Einbeziehung biologischer, ökologischer, ökonomischer und sozialer Zusammenhänge -  zu überprüfen.

Stand: Dezember 2014/Karl-Ernst Kaissling

 

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Dr. rer. nat. Karl-Ernst Kaissling ist em. Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und des ehem. Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie, Seewiesen, em. Prof. der Ludwig-Maximilians-Universität München

 

 

[1]    D. Meadows et al. "Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre Update" (Hirzel Verlag Stuttgart, 3. Aufl. 2009, 323 S.)

[2]    M. Wackernagel & B. Beyers "Der Ecological Footprint. Die Welt neu vermessen" (EVA 2010, 240 S.)                 

[3]    Konrad Lorenz 1988: "Der Mensch ist das einzige Wesen, das nicht alles darf, was es will."

[4]    A. Lerf "Umweltethik - Die Ignoranz der Naturwissenschaftler/Techniker". In M. Vogt, J. Ostheimer, F. Uekötter (eds.) "Wo steht die Umweltethik? Argumentationsmuster im Wandel", Metropolis-Verlag, Marburg 2013