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Realer Stundenlohn in den USA niedriger als vor 40 Jahren

Ein Beschäftigter in den USA verdient heute pro Stunde im Durchschnitt real weniger als vor vierzig Jahren. 1972 lag der Bruttostundenlohn im Geldwert von 2012 bei 21,35 US-Dollar. Bis 1993 fiel er auf 17,93 US-Dollar. Seither ist der Lohntrend positiv, auch wenn die Jahre 2011 und 2012 in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise Lohneinbußen mit sich brachten (Schaubild 1). Mit 20,15 US-Dollar wurde pro Arbeitsstunde im Durchschnitt allerdings immer noch 1,20 US-Dollar weniger gezahlt als 1972.[1] In Deutschland erhöhten sich dagegen die realen Bruttostundenlöhne im selben Zeitraum um das reichlich Anderthalbfache - wenn auch von einem niedrigeren Niveau aus.[2]

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Der Lohnrückgang in den USA hat mehrere Ursachen. Zum einen liegt er in der Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen begründet. Zwar ist der Anteil der Erwerbstätigen, die nicht über einen College-Abschluss verfügen, seit 1972 von 85 auf 67 Prozent gesunken.[3] Da sich zugleich die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt von 1972 bis 2012 von 82 auf 143 Millionen erhöhte,[4] stieg jedoch die Zahl der Erwerbstätigen ohne College-Abschluss trotz rückläufigen relativen Anteils von 72 auf 96 Millionen.

Hinzu kommt zum anderen, dass Beschäftigte ohne College-Abschluss heute deutlich geringer entlohnt werden als Anfang der 1970er Jahre (Schaubild 2). So verdienten Beschäftigte, die lediglich einen High School-Abschluss vorzuweisen oder ihre College-Ausbildung abgebrochen hatten oder die sich gerade in einer College Ausbildung befanden, 2012 jeweils einen US-Dollar weniger pro Stunde als 1973. Beschäftigte ohne High School-Abschluss erhielten sogar drei US-Dollar weniger pro Stunde.[5]

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Dahinter steht der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- bzw. zur globalisierten Wissensgesellschaft. Er bewirkte, dass Industriearbeitsplätze insbesondere im mittleren Qualifikations- und Einkommenssegment entweder durch Maschinen ersetzt oder ins kostengünstigere Ausland verlagert wurden. An ihre Stelle traten gering produktive und folglich gering entlohnte Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, zum Beispiel in der Gastronomie, im Einzelhandel oder im Bereich von Wach- und Hausmeisterdiensten. 1972 waren mit 44 bzw. 49 Prozent die Anteile der Erwerbstätigen im Industrie- und Dienstleistungssektor fast gleich groß. 2012 waren nur noch 24 Prozent der Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk dafür jedoch 72 Prozent im Dienstleistungsbereich und hiervon vor allem im Niedriglohnsektor tätig (Schaubild 3).

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Dämpfend auf die US-amerikanischen Stundenlöhne wirkte auch, dass die Bruttowertschöpfung in den zurückliegenden Jahrzehnten weniger an die abhängige Erwerbsarbeit und stärker an die selbständige Erwerbsarbeit und den Faktor Kapital floss. Das erklärt, dass von 1972 bis 2012 BIP und verfügbares Einkommen pro Kopf real um 96[6] bzw. 166[7] Prozent zunahmen, während die Lohnquote im selben Zeitraum trotz wachsender Erwerbstätigenzahl und beinahe konstanter individueller Arbeitszeit pro Erwerbstätigem[8] von 71 auf 63 Prozent sank.[9]

Um trotz sinkender bzw. stagnierender Arbeitseinkommen ihren materiellen Lebensstandard aufrecht zu erhalten bzw. gegebenenfalls zu erhöhen, verschuldeten sich viele US-amerikanische Haushalte zum Teil erheblich. So stieg der Wert der noch offenen Konsumentenkredite seit 1972 real um das Siebenfache.[10] Zugleich ging die private Sparquote von neun Prozent des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte auf vier Prozent 2012 zurück. Mitte des letzten Jahrzehnts hatte sie sogar nur 1,5 Prozent betragen.[11] Zum Vergleich: deutsche Haushalte sparten 2012 10,3 Prozent ihres verfügbaren Einkommens.[12]

Derzeit deutet wenig darauf hin, dass sich die Verdienstsituation großer Teile der US-amerikanischen Beschäftigten in Zukunft fundamental verbessert. Umso wichtiger ist es deshalb darüber nachzudenken, wie Wohlbefinden und Lebensqualität künftig auch aus immateriellen Quellen gespeist werden können.

(Stand: 28. Mai 2013, Karsten Gödderz)

 


[1]     United States Government Printing Office (2013), Economic Report of the President 2013. Transmitted to the Congress March 2013, Washington D.C., S. 380, URL: http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/docs/erp2013/full_2013_economic_report_of_the_president.pdf (Abgerufen am 28. Mai 2013).

[2]     Der Lohnanstieg in Deutschland wird durch die Umstellung auf gesamtdeutsche Werte nach 1991 allerdings unterzeichnet. Vgl. Brenke, Karl (2009), Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig, Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 33/2009, Berlin, S.552 ff., URL: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_02.c.289465.de/09-33-1.pdf (Abgerufen am 28. Mai 2013)

[3]     Mishel, Lawrence/Bivens, Josh/Gould, Elise et al. (2012), The State of Working America, 12th Edition, S. 215ff. (Daten verfügbar unter http://stateofworkingamerica.org/data/, Tabelle "Education Shares of Employment"). 

[4]     Economic Report of the President 2013, S. 366f.

[5]     The State of Working America (Daten verfügbar unter http://stateofworkingamerica.org/data/, Tabelle "Wages by Education").

[6]     AMECO (2013), Gross domestic product at 2005 market prices per head of population, URL: http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user/serie/SelectSerie.cfm (Tabelle 6.2, at constant prices, abgerufen am 28. Mai 2013).

[7]     OECD (2013), Disposable Income and Net Lending, URL: http://stats.oecd.org/index.aspx?datasetcode=sna_table2# (Abgerufen am 28. Mai 2013).

[8]     OECD (2010), Employment Outlook. Moving Beyond the Jobs Crisis, Paris, S. 290.

[9]     International Labour Organization (2013), Global Wage Report 2012/13. Wages and equitable growth, Genf, S. 43, URL: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/documents/publication/wcms_194843.pdf (Abgerufen am 28. Mai 2013).

[10]    Economic Report of the President 2013. S. 416f., mithilfe des Consumer Price Index um den Preiseffekt bereinigt.

[11]    A.a.O., S.360.

[12]    Statistisches Bundesamt (2013), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Private Konsumausgaben und Verfügbares Einkommen 4. Vierteljahr 2012. Beiheft zur Fachserie 18, Wiesbaden, S. 12, URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Inlandsprodukt/KonsumausgabenPDF_5811109.pdf?__blob=publicationFile (Abgerufen am 28. Mai 2013).