Zeit zu handeln


Übersicht 4-Referenten-Diskutanten

Markus Vogt

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Markus Vogt ( geboren 1962) ist seit 2007 Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1998 bis 2007 lehrte er dasselbe Fach an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuren. 2011/2012 hatte er eine Forschungsprofessur am Rachel Carson Center for Environment and Society. Seit 1995 ist er zudem Berater der Arbeitsgruppe für ökologische Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. 2016 wurde er  zum Sprecher des Sachverständigenrats Bioökonomie der Bayerischen Staatsregierung ernannt.

Kurzstatement

Es gibt drei zentrale Wirkfaktoren tradierten Denkens in der europäischen Moderne, die dazu führen, dass wir nicht tun, was wir ökologisch und ethisch für richtig halten:

1. Die imperiale Fehlinterpretation des biblischen Herrschaftsauftrags „machtEuch die Erde untertan“ (Gen 1,28) ist eine zentrale kulturgeschichtliche Wurzel der europäischen Naturvergessenheit. Eine Überwindung dieses Denkmusters ist im Zeitalter des Anthropozäns existenznotwendig und bedarf eines radikalen „rethinking our own religion“ (White). Schlüssel hierfür ist die hermeneutisch-kritische Erschließung und Übersetzung der ursprünglichen Intension des biblischen Schöpfungsglauben: Krone der Schöpfung ist nicht der Mensch, sondern der Sabbat (die Ordnung der Zeit); der Mensch ist ebenso „Erdling“ (Adam) wie Gottebenbild (sittliches Subjekt) und ist sich selbst die größte Gefährdung (kritische Anthropologie); eine naturethische Rekonstruktion des biblischen Schöpfungsglaubens (Hardmeier/Ott) zielt auf eine Haltung von (Natur-)Vertrauen bei gleichzeitigem Kontingenzbewusstsein.

 2. Der Verlust geteilter Vorstellungen des guten Lebens wird durch quantitative Steigerung als Sinnstiftung kompensiert und macht uns wider besseres Wissen von der Wachstumsillusion abhängig. Damit eng verbunden ist die Fixierung auf eine Metaphysik des Zählbaren und Messbaren, die als „mentale Infrastruktur“ (Leggewie/Welzer) unserem Wissenschafts- und Wirtschaftssystem zugrunde liegt. Deren Kritik ist Voraussetzung, dass das „Prinzip Verantwortung“ (bei Jonas  Gegenmodell zum „Prinzip Hoffnung“ von Bloch) Geltungskraft erlangen kann. Ohne diese philosophisch-anthropologische Tiefendimension wird das Zukunfts- und Managementversprechen der Nachhaltigkeit zu einer Ideologie und einem Etikett ohne transformative Handlungsmacht (Reis).

3. Die neuzeitliche Ethik ist zu einem erheblichen Teil durch den „rationalistischen Fehlschluss“ (Haidt) geprägt. Da sie die Reflexion von Fragen der emotionalen Kommunikation und Motivation vernachlässigt hat, ist sie insbesondere in Zeiten, die angstvoll als Krise erlebt werden, praktisch unwirksam. Die systematische Reflexion „politischer Emotionen“ (Nussbaum) ermöglicht einen neuen Blick auf die Dysfunktionalitäten gegenwärtiger Demokratie hinsichtlich der Überwindung des „garstigen Grabens“ zwischen Wissen und Handeln. Nur in Verbindung mit einer kulturellen „Verkörperung der Gründe“ (Habermas) wird Ethik individuell und kollektiv handlungswirksam.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Die Welt im Anthropozän (Hrsg.), München (2016)

Prinzip Nachhaltigkeit: Ein Entwurf aus theologisch-ethischer Perspektive, München (3. Aufl. 2013)