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Fachkräftemangel durch nachhaltigere Bildungspolitik vorbeugen

In Deutschland wird - wieder einmal - über Fachkräftemangel geklagt. Bei Licht besehen kann allerdings von einer flächendeckenden Knappheit keine Rede sein. Zwar fehlen in bestimmten Wirtschaftsbereichen Fachkräfte. Doch ist dies nicht auf einen Mangel an Erwerbspersonen, sondern auf eine wenig zukunftsorientierte und damit nicht nachhaltige Bildungspolitik sowie steigende Arbeitsplatzansprüche von Fachkräften zurückzuführen.

So viele Erwerbspersonen und Erwerbstätige wie noch nie

Mit 44,1 Millionen standen 2013 dem Arbeitsmarkt mehr Erwerbspersonen zur Verfügung als jemals zuvor im vereinigten Deutschland (Schaubild).

Schaubild: Erwerbspersonen und Erwerbstätige in Deutschland 1991-2013

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Quelle: Statistisches Bundesamt (2014), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Inlandsproduktberechnung, Lange Reihen ab 1970, Wiesbaden, S 44.

Bezogen auf die Wohnbevölkerung bot damit reichlich jeder Zweite (53,7 Prozent) seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt an. Von den Erwerbspersonen waren 41,8 Millionen erwerbstätig und knapp 2,3 Millionen erwerbslos. Folglich ging gut die Hälfte der Bevölkerung und damit so viele wie noch nie einer Erwerbstätigkeit nach. Dies ist umso bemerkenswerter, als zugleich die Kapitalisierung der Wirtschaft weiter voranschritt.

Engpässe in ausgewählten technischen Berufen sowie im Gesundheits- und Pflegebereich

Trotz dieser voranschreitenden Kapitalisierung nimmt bislang die Zahl offener Stellen zu. Derzeit sind knapp 1,1 Millionen Arbeitsplätze unbesetzt. Das sind etwa ebenso viele wie vor dem Crash 2008.[1] Allerdings hat sich seitdem das zahlenmäßige Verhältnis von Arbeitslosen und offenen Stellen verschoben. 2007 kamen auf 100 offene Stellen 347 Arbeitsuchende, heute sind es nur noch 280 - ein Rückgang von knapp einem Fünftel. (Tabelle).

Tabelle: Arbeitslose und offene Stellen 2006-2014

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Quellen: Bundesagentur für Arbeit (2013), Arbeitsmarkt in Zahlen. Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf, Nürnberg
sowie IAB (2014), Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots im zweiten Quartal 2014, Nürnberg

Wirkliche Engpässe gibt es lediglich in bestimmten technischen Berufen wie im Bereich der Energietechnik, der Mechatronik und Automatisierungstechnik sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen.[2] Hier überstieg im Juli 2014 die Zahl der gemeldeten Stellen die der registrierten Arbeitslosen zum Teil deutlich.[3]

Bildungspolitik noch immer zu wenig zukunftsorientiert

Ursächlich hierfür sind allerdings weniger quantitative als qualitative Probleme. Einerseits verfügt heute mit fast einem Fünftel ein deutlich höherer Anteil Erwerbstätiger über eine Hochschulausbildung als Mitte der 1990er Jahre, als erst rund ein Siebtel zu den Akademikern zählte. Andererseits erhöhte sich im gleichen Zeitraum der Anteil Erwerbstätiger, die keine Ausbildung abgeschlossen hatten bzw. keine Angaben dazu machten, von 14,3 auf 17,4 Prozent. Entsprechend sank der Anteil der Erwerbstätigen mit abgeschlossener, nicht akademischer Berufsausbildung von 71,1 auf 64,2 Prozent.

Dem stehen steigende berufliche Anforderungen an die Erwerbstätigen gegenüber. Seit Mitte der 1990er Jahre ging der Anteil der Arbeitsplätze, auf denen einfache Tätigkeiten erbracht wurden, von 36,2 auf 29,3 Prozent zurück. Zugleich stieg der Anteil der Arbeitsplätze mit qualifizierten Fachtätigkeiten - zum Teil mit Führungsaufgaben - von 43,8 auf 46,5 und der von hoch qualifizierten Tätigkeiten von 20,2 auf 24,1 Prozent.[4]

Die Diskrepanz zwischen angebotenen und nachgefragten Qualifikationen wird noch deutlicher, wenn die registrierten Arbeitslosen zu den gemeldeten offenen Stellen nach Anforderungsniveau korreliert werden. Während im Juli 2014 auf hundert gemeldete Stellen bei komplexen Spezialistentätigkeiten 340, bei fachlich ausgerichteten Tätigkeiten 402 und bei hoch komplexen Tätigkeiten 418 registrierte Arbeitslose kamen, waren es bei Helfer- und anderen Tätigkeiten 1.079! Im Durchschnitt kamen 665 Arbeitslose auf hundert gemeldete Stellen.[5]

Dahinter steht eine Bildungspolitik, die immer noch zu wenig auf die steigenden Qualifikationsanforderungen ausgerichtet ist. So sind die Mathematik- und Deutschkenntnisse sowie die sozialen Kompetenzen vieler Auszubildender ungenügend.[6] Junge Menschen mit Migrationshintergrund verlassen Schule und Berufsausbildung zu oft ohne Abschluss.[7] Und viele Weiterbildungsangebote bleiben ungenutzt, auch wenn sich in den zurückliegenden zwei Jahren der Anteil von Personen, die an betrieblicher Weiterbildung teilnahmen, geringfügig erhöht hat.[8]

Hinzu kommen häufig Ansprüche der Erwerbspersonen an Qualität und Umfeld des Arbeitsplatzes, die nicht oder  nur schwer zu erfüllen sind. So weigern sich viele Ärzte, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen. Sie möchten lieber in Städten wie Hamburg, München oder Berlin tätig sein, obwohl dort inzwischen eine Übervorsorgung an Ärzten herrscht. Ähnliches gilt für Lehrer.

Um zu verhindern, dass sich die Arbeitsmarktengpässe bei Fachkräften verstärken, müssen alle zusammenwirken: die Arbeitgeber, indem sie junge Menschen entsprechend ausbilden, die Erwerbstätigen, indem sie sich so gut wie möglich qualifizieren und die Bildungseinrichtungen, indem sie eine nachhaltig, d.h. langfristig angelegte Politik entwickeln, die das Bildungssystem an die veränderten Herausforderungen laufend anpasst.

(Stand: August 2014, Stefanie Wahl)


[1]     Vgl. IAB (2014), Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots im zweiten Quartal 2014, Nürnberg.

[2]     Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2014), Analyse der gemeldeten Arbeitsstellen nach Berufen (Engpassanalyse), Juli, S. 16.

[3]     Im 1. Halbjahr 2014 waren bei der Bundesagentur für Arbeit 2,9 Millionen Arbeitslose und 470.000 offene Stellen registriert. Letztere machten weniger als die Hälfte aller offenen Stellen aus. Vgl. IAB (2014).

[4]     Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2010. Vgl. IAB, Zahlen-Fibel, Übersicht 6.1.2.

[5]     In dieser Rechnung sind nur die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen erfasst. Vgl. BA (2014), Engpassanalyse, S. 21.

[6]     Vgl. Focus (2014), DIHK: 80.000 Lehrstellen unbesetzt, 22. August 2014.

[7]     So wiesen 2012 43 Prozent der ausländischen abhängigen Erwerbstätigen keinen beruflichen Bildungsabschluss auf. Bei den deutschen waren es 15 Prozent. Vgl. Statistisches Bundesamt (2013), Mikrozensus. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Stand und Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland, Wiesbaden.

[8]     Vgl. BMBF (2014), Bildung in Deutschland 2014, S. 140.