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Mythen fossiler Stromerzeugung

Mythos 1:

Die Stromerzeugung aus fossilen Energien ist auch in Zukunft ein gutes Geschäft

Zwar konnten die zehn größten Energieversorger Europas, die zusammengenommen mehr als die Hälfte des europäischen Stroms produzieren und hierfür zu 96 Prozent fossile und Kernenergie einsetzen,[1] von 2002 bis 2012 ihre Umsätze trotz Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der deutschen Energiewende verdoppeln. Doch die Rentabilität der Unternehmen sinkt. Dies könnte in Zukunft dazu führen, dass sich bereits getätigte und künftige Investitionen in Gas- und Kohlekraftwerke nicht mehr amortisieren. Die Aktienmärkte spiegeln dies wider. Seit 2008 haben sich die Kurse der deutschen Energieversorger E.on, RWE und EnBW nahezu halbiert (Schaubild 1).

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So musste RWE 2013 einen Verlust von 2,8 Milliarden Euro hinnehmen[2]. Bei E.on halbierte sich der Gewinn.[3] Ursächlich dafür sind hohe Rohstoffpreise, strenge Umweltauflagen sowie zumindest in Deutschland eine sinkende Auslastung fossiler Kraftwerke, da Strom aus Sonne und Wind im Stromnetz Vorrang vor Strom aus Kohle und Gas hat.

Trotzdem setzen die großen Energieversorgungsunternehmen weiter auf fossile Energieträger. Im zurückliegenden Jahrzehnt wurden in Europa fossile Kraftwerkskapazitäten von 85 Gigawatt aufgebaut. 20 weitere sind geplant, obwohl selbst der E.on-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen Kohle- und Atomstrom für nicht länger rentabel hält: "Ich gehe nicht davon aus, dass mit der konventionellen Stromerzeugung künftig noch nennenswert viel Geld verdient werden kann."[4] Eine Studie von Greenpeace kommt zu einem ähnlichem Ergebnis: Um die Gewinne der Energieversorgungsunternehmen auf dem Niveau von 2012 zu stabilisieren, müssten in der EU fossile Kraftwerkskapazitäten von etwa 50 Gigawatt vom Netz genommen werden.[5]

Langfristig besteht weltweit zudem die Gefahr einer sogenannten Carbon Bubble. Berechnungen zufolge kann die Menschheit - will sie die Erderwärmung gegenüber 1990 auf zwei Grad begrenzen - bis 2050 noch etwa 900 Gigatonnen CO2 ausstoßen. Würden jedoch die bekannten Rohstoffreserven für Kohle, Öl und Gas vollständig verbraucht, würden 2.500 Gigatonnen CO2 emittiert. Daraus folgt: Entweder heizt sich die Erde um mehr als zwei Grad auf oder der Großteil der bekannten fossilen Ressourcen, deren Ausbeutungsrechte sich Konzerne gesichert haben, müssten unter der Erde bleiben. Die Lizenzen würden dadurch wertlos und Unternehmen wie Shell, BP oder Eni massiv an Wert verlieren. Diese Blase könnte jederzeit platzen und der Weltwirtschaft ernsthaften Schaden zufügen. In naher Zukunft ist damit allerdings nicht zu rechnen: Bislang ist die Politik den Nachweis, Klimapolitik ernst zu nehmen, schuldig geblieben. Allein 2012 wurden über 650 Milliarden Dollar investiert, um neue Lagerstätten fossiler Energieträger aufzuspüren. Die Blase wird also größer und später umso heftiger platzen.[6]

Mythos 2:

Strom aus Nuklearenergie ist eine kostengünstige Alternative

Die vermeintlich günstige Gewinnung von Atomstrom ist in Wirklichkeit besonders teuer. Allein das Beheben zahlreicher Sicherheitsmängel, die durch den Stresstest aller europäischen Kernkraftanlagen nach dem Reaktorunglück in Fukushima aufgedeckt wurden, kann bis zu 25 Milliarden Euro kosten. Die zunehmenden Sicherheitsauflagen führen darüber hinaus dazu, dass die Kosten von Neubauten - beispielsweise im finnischen Olkiluoto - explodieren oder solche Projekte nicht länger verfolgt werden. So ist beispielsweise in den USA der Bau neuer Kernkraftwerke zwar erlaubt, doch zieht sich der Staat aus der Finanzierung zurück. In der Folge gewähren Banken nicht länger die notwendigen Kredite, da das Geschäft nicht lohnend erscheint.[7]

Aber auch die Produktion von Strom in nicht beanstandeten Kraftwerken ist keineswegs kostengünstig. Obwohl in der EU kräftig subventioniert wird,[8]  ist Atomstrom nicht billiger als beispielsweise Strom aus erneuerbaren Energien. Für Atomstrom aus dem neuen britischen Atomkraftwerk Hinkley Point C, das 2023 ans Netz gehen soll, garantiert die britische Regierung für 35 Jahre einen Preis von umgerechnet 112 Euro je Megawattstunde. Dies entspricht den Kosten der Solarenergie, die derzeit in Deutschland mit 92 bis 133 € pro Megawattstunde vergütet wird.[9] Strom aus Offshore-Windparks ist zwar noch teurer als Atomstrom, doch ist im deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine jährliche Degression der garantierten Vergütungen vorgesehen. Ähnliches gilt für Solarenergie. Zusätzlich werden die Preise für Solarstrom durch die langfristig sinkenden Kosten für Solarpaneele  gedämpft.[10] Dagegen scheint technischer Fortschritt die Kosten des Atomstroms nicht senken zu können. Vielmehr sind sie in der Geschichte der zivilen Nutzung der Atomkraft immer weiter gestiegen.[11]

Weitere Faktoren, die die Atomenergie verteuern, ohne dass dies unmittelbar auf der Stromrechnung in Erscheinung tritt, sind zum einen bislang nicht versicherte mögliche Reaktorunfälle. Die hierfür aufzubringenden Versicherungsprämien wären so hoch, dass die Strompreise explodieren würden.[12] Zum anderen sind auch die Kosten einer sachgerechten Entsorgung nicht vollständig eingepreist. Allein die Rückholung des im ehemaligen Salzbergwerk Asse gelagerten Atommülls wird den Steuerzahler mindestens vier Milliarden Euro kosten.[13] Und bereits heute rosten die Behälter für radioaktiven Abfall im Atomkraftwerk Brunsbüttel. 

Darüber hinaus summieren sich Fehlinvestitionen in weltweit mehr als 100 Reaktorruinen, die über die Jahre nie oder kaum genutzt wurden, Kosten von Katastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl, die weltweit erfolglose Endlagersuche sowie Schäden durch Uran-Abbau auf über eine Billion Dollar. Angesichts solcher Zahlen bezeichnen Experten die Atomkraft als größte Fehlinvestition aller Zeiten.[14]

Mythos 3:

Fracking wird in Europa zu einem Rückgang der Gaspreise wie in den Vereinigten Staaten führen

Fracking wird für die künftige Energieversorgung Europas voraussichtlich keine große Rolle spielen. Ursächlich dafür sind zum einen die geologischen Gegebenheiten. So können beispielsweise in Polen nur sehr viel geringere Mengen Gas gewonnen werden als erhofft.[15] Ähnliches ist auch in anderen europäischen Ländern zu erwarten. Zum anderen regt sich vielerorts in Bevölkerung und Politik Widerstand dagegen, dass die Umwelt durch das giftige Sand-Wasser-Chemikalien-Gemisch, das zum Herauspressen des Gases aus den Gesteinsschichten verwendet wird, Schaden nehmen könnte. In Frankreich und Bulgarien wurden deshalb bereits Verbote gegen Fracking erlassen.[16]

Darüber hinaus gibt es in Europa einige rechtliche Hindernisse. So sind hier beispielsweise im Vergleich zu den USA die Umweltauflagen in der Regel strenger. Zudem ist der Landbesitz kleinteiliger, so dass die für das Fracking erforderlichen Flächen schwieriger zu erwerben sind als in den Vereinigten Staaten. Außerdem sind beispielsweise im Vereinigten Königreich Ressourcenrechte in der Vergangenheit verstaatlicht worden. Das hießt: Während die Landbesitzer in den USA einen finanziellen Anreiz haben, die Suche nach Gas auf ihrem Besitz zuzulassen - wird ein Unternehmen fündig, muss es ihnen auch die gefundenen Ressourcen abkaufen - gibt es im Vereinigten Königreich wenig Anreize, die Suche nach möglichen Gasvorräten zuzulassen, da Betriebs- und Nutzungsrechte für neue Abbaugebiete in der Regel vom Staat vergeben werden.[17]

Aufgrund von Fracking war in den USA vor allem zwischen 2007 und 2012 - von einigen Schwankungen abgesehen - ein deutlicher Rückgang der Gaspreise zu beobachten. Ursächlich hierfür war unter anderem, dass bei Beginn des Gasbooms noch keine leistungsfähigen Verteilungssysteme vorhanden und die Verschiffungskosten recht hoch waren, so dass das Angebot faktisch auf den US-amerikanischen Markt begrenzt war. In Europa sprechen das gut ausgebaute Energienetz sowie der funktionierende Binnenmarkt gegen einen ähnlichen Preisrückgang. Würden beispielsweise die Gaspreise im Vereinigten Königreich sinken, könnten Händler aus dem übrigen Europa Gas in Großbritannien kaufen. Die höhere Nachfrage nach britischem Gas würde die Preise dort wieder steigen lassen. Diese würden sich dann den Preisen im übrigen Europa wieder angleichen.[18]

Zwar dürften nicht zuletzt aufgrund der hohen Verschiffungskosten die Gaspreise in den USA auch künftig niedrig bleiben. Doch werden sie sich nicht für immer auf dem niedrigen Niveau von April 2012 halten können. Da die ergiebigsten Quellen für die Gewinnung von Schiefergas zu einem großen Teil bereits ausgebeutet sind, muss künftig auf weniger ergiebige Vorkommen ausgewichen werden. Bei dem Gaspreis von 2012 wurden durch Fracking Einnahmen von 32 Milliarden Dollar erzielt. Das sind reichlich neun Milliarden Dollar weniger als für die Produktion aufgewendet wurden.[19] Seit dem hat sich der Gaspreis in etwa verdreifacht, was allerdings auch auf den strengen Winter 2013/2014 zurückzuführen ist.

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[1] Vgl. Greenpeace (2014), Locked in the Past. Why Europe's Big Energy Companies Fear Change, Hamburg, S.3/4. [URL: http://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20140227-report-_locked_in_the_past_-_why_europes_big_energy_companies_fear_change_0.pdf]

[2] Vgl. RWE AG (2014), RWE mit erstem Nettoverlust seit 60 Jahren, Essen. [URL: http://www.rwe.com/web/cms/de/37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/pressemitteilungen/?pmid=4010678]

[3] Vgl. E.on (2014), E.on-Konzern in Zahlen, Düsseldorf. [URL: www.eon.com/content/dam/eon-com/ueber-uns/publications/eon_konzern_in_zahlen_fy_de_2013.xlsx]

[4] Spiegel Online (2014), E.on-Chef: Teyssen hält Atom- und Kohlestrom für kaum profitabel. [URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/e-on-chef-teyssen-haelt-atom-und-kohlestrom-fuer-kaum-profitabel-a-958458.html]

[5] Vgl. Greenpeace (2014), S. 4 [URL: http://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20140227-report-_locked_in_the_past_-_why_europes_big_energy_companies_fear_change_0.pdf]

[6] Vgl. Zeit Online (2014a), Bohren bis die Blase platzt. [URL: http://www.zeit.de/2014/08/carbon-bubble-rohstoff-blase]

[7] Vgl. Kemfert, Claudia (2013), Kampf um Strom. Mythen, Macht und Metropole, 3. Auflage, Hamburg, S. 65ff.

[8] Laut erstem Entwurf [URL: https://docs.google.com/file/d/0B9F6ub8wD7gqUVBPVEdvWG9WRWs/edit] des Subventionsberichts für Energiemärkte der EU-Kommission wurden Kernkraftwerke 2011 mit 35 Millionen Euro gefördert. Zum Vergleich: Die am Anfang ihres Produktlebenszyklus stehenden erneuerbare Energien erhielten eine Förderung von 30 Milliarden Euro. Vgl. Sueddeutsche.de (2013), Oettinger schönt Subventionsbericht [URL: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/foerderung-der-energiebranche-oettinger-schoent-subventionsbericht-1.1793957] 2012 hatten zusätzlich Staaten wie das Vereinigte Königreich, Frankreich, Polen oder Tschechien die Erlaubnis von Subventionen, beispielsweise für den Kraftwerksbau, für alle emissionsarmen Technologien gefordert, wozu laut Definition auch Atomenergie sowie Kohle mit Kohlendioxidabscheidung (CCS) gehören sollten. Subventionen sollten technologieneutral sein. Beispielhaft sei hier auf die Kommentierung [URL: http://de.scribd.com/doc/89227104/UK-Comments-on-2050-Energy-Roadmap-to-EU-Commission-5] der Britischen Regierung der Energy Roadmap 2050 der EU-Kommission verwiesen. Nach öffentlichem Druck wurde diese Initiative jedoch zunächst begraben. Vgl. Spiegel Online (2012), EU Staaten wollen Subventionen für Atomstrom [URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-staaten-fordern-subventionen-fuer-atomkraft-a-827295.html] sowie Umweltinstitut München (2013), Erfolg: EU-Atomförderung verhindert [URL: http://umweltinstitut.org/radioaktivitat/aktionen/hintergrund_eu_atomsubvention_steuergeld-989.html.

[9] Vgl. Bundesnetzagentur (2014), Bestimmung der Vergütungssätze für Fotovoltaikanlagen nach § 32 EEG für die Kalendermonate Februar 2014, März 2014 und April 2014, Bonn. [URL: http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Photovoltaik/Datenmeldungen/EEGVerg_FebApril2014.xls?__blob=publicationFile&v=2]

[10] So hat sich beispielsweise in den USA der Preis für eine Kilowattstunde Solarstrom zwischen 2010 und 2013 von 21 Dollar-Cent auf 11 Cent nahezu halbiert. Vgl. US Departement of Energy (2014), U.S. Utility-Scale Colar 60 Percent Towards Cost-Competition Goal, Washington D.C.. [URL: http://energy.gov/articles/us-utility-scale-solar-60-percent-towards-cost-competition-goal].

[11] Vgl. Thomas, Steve (2012), Economics of Nuclear Energy, in: Focus: The Journal of the Helen Suzman Foundation, Bd. 64, S. 49. [URL: http://gala.gre.ac.uk/7728/1/PrfSThomas64.pdf]

[12] Vgl. Kemfert (2013), S. 65.

[13] Vgl. Deutsche Welle (2014), Hendricks besucht umstrittenes Atommülllager Asse. [URL: http://www.dw.de/hendricks-besucht-umstrittenes-atomm%C3%BCllager-asse/a-17473164]sowie von Hirschhausen, Christian/Reitz, Felix (2014), Atomkraft: Auslaufmodell mit ungelöster Endlagerfrage, in : DIW Wochenbericht, 13/2014, S.274. [URL: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.441191.de/14-13.pdf]

[14] Vgl. Tagesschau.de (2014), Das Billionen-Dollar-Desaster. [URL: http://www.tagesschau.de/inland/milliardengrab-atomkraft100.html]

[15] Das polnische Staatliche Geologische Institut PIG rechnet nur noch mit einer technisch förderbaren Menge an Schiefergas von 34 bis 76 Milliarden Kubikmetern. Dies ist ein deutlicher Rückgang gegenüber ersten Schätzungen, die von 5 Billionen Kubikmetern ausgingen. Zahlreiche internationale Konzerne haben sich bereits aus der Schiefergas Erkundung in Polen zurückgezogen, darunter auch ExxonMobile. Vgl. Klimaretter.info (2013), Polen verschätzt sich beim Fracking. [URL: http://www.klimaretter.info/wirtschaft/nachricht/13637-polen-verschaetzt-sich-beim-fracking]

[16] Vgl. Eberhardt, Pia/Feodoroff, Timothé/Lui, Emma et al. (2013), The right to say no: EU-Canada trade agreement threatens fracking bans, S. 2. [URL: http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/ceta-fracking-briefingen.pdf]

[17] Vgl. The Guardian (2014), The truth about David Cameron's fracking fairytale. [URL: http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/jan/26/truth-david-cameron-fracking-fairytale-shale-gas?CMP=twt_gu]

[18] Vgl. a. a. O.

[19] Vgl. Hughes, David J. (2013), Drill, Baby, Drill. Can unconventional fuels usher in a new era of energy abundance? Santa Rosa, S. 50 und 73. [URL: http://www.postcarbon.org/reports/DBD-report-FINAL.pdf]