Erfüllter leben


Übersicht Leuchttürme

Über das Internet die Welt gestalten

Der Name „Avaaz“ stammt aus dem Persischen und bedeutet „Stimme“ oder „Klang“. Die gemeinnützige Organisation will Menschen aus allen Gesellschaftsschichten weltweit die Möglichkeit geben, auf aktuelle regionale, nationale und internationale Probleme Einfluss zu nehmen - über Petitionen, Medienkampagnen oder Protestaktionen. Das Internet stellt dafür das Werkzeug. Mitglied werden kann bei Avaaz jeder, indem er seine eMail-Adresse angibt: Per Mail wird er anschließend über jede Avaaz-Aktion informiert, und es steht jedem frei, sich per Unterschrift - wiederum per Mail - an einer Aktion zu beteiligen. Jedes Mitglied kann sich darüber hinaus selbst mit Anliegen melden oder eigene Petitionen starten. Gegründet wurde die Organisation 2007 von dem Kanadier Ricken Patel. Patel arbeitete  in Afrika und Asien, u.a. für die Vereinten Nationen, die Bill Gates Foundation und CARE International, bevor er sich über Stiftungen wie ResPublica und MoveOn.org engagierte und schließlich Avaaz ins Leben rief. 

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Auch zum Erfolg des Klimagipfels von Paris im Dezember 2015 hatte Avaaz Entscheidendes beizutragen. Zum Beispiel demonstrierten vor dem Gipfel bei den von Avaaz und zahlreichen Partnern organisierten „Climate Marches“ weltweit über 750.000 Menschen für die Rettung des Weltklimas. Avaaz-Mitglieder dokumentierten per Video Überschwemmungen im indischen Chennai und zeigten sie zusammen mit anderen relevanten Nachrichten aus Indien beim Klimagipfel: Premierminister Modi unterstützte daraufhin eine Einigung. Dass Saudi-Arabien in letzter Minute ebenfalls auf einen klimafreundlicheren Kurs einschwenkte, hatte ebenfalls mit dem Bemühen von Avaaz zu tun - die saudische Regierung war über die öffentliche Aufmerksamkeit zum Thema schließlich so besorgt, dass ein Anwalt im Namen der Regierung Avaaz-Mitarbeiter anrief und mit einer Klage drohte.

Avaaz stützt sich auf ein über sechs Kontinente verteiltes Team, Tausende von Freiwilligen und über 40 Millionen Mitglieder aus 194 Ländern. Avaaz-Deutschland-Pressesprecher Daniel Boese sieht das Internet als Mittel der Stunde im Engagement für eine lebenswerte Zukunft: „Das Internet erlaubt es, Bürgerstimmen zu sammeln und wirklich hörbar zu machen. Wir können heute durch das Internet z.B. bei Entscheidungen, die auf der Kippe stehen, viel schneller agieren als früher. Der Medienwandel kann einen kulturellen und politischen Wandel bewirken, der Veränderungen schneller möglich macht als je zuvor.“ 

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Boese begreift Nachhaltigkeit in der Arbeit von Avaaz als ein umfassendes Konzept: Wir möchten die Lücke schließen zwischen der Welt, wie sie ist und der Welt, wie die Menschen sie sich wünschen. Unsere Arbeit soll Umwelt und Menschenrechte schützen, Korruption bekämpfen, Bildungsmöglichkeiten für Menschen weltweit herstellen, Teilhabe an demokratischen Prozessen ermöglichen. Die Ziele der Menschen, die bei uns Petitionen einreichen, sind weltweit sehr ähnlich. Es ist sehr inspirierend zu sehen, wie groß die gemeinsamen Interessen und Werte sind. Der jahrzehntelang eher ‚abstrakte‘ Klimawandel z.B. hat jetzt in Paris eine klare, multilaterale Lösung bekommen und gibt der internationalen Zusammenarbeit neuen Schwung - da wird ein Ziel wie ‚Umwelt schützen‘ dann sehr greifbar.“ 

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40 Millionen Mitglieder in gerade einmal neun Jahren - worauf ist der Erfolg von Avaaz zurückzuführen? „Für viele Menschen ist es offensichtlich wichtig, an einer internationalen Gemeinschaft teilzunehmen und sie zu gestalten“, meint Daniel Boese. Die Schwerpunkte der Arbeit von Avaaz werden jedes Jahr durch eine Mitgliederbefragung festgelegt. Konkrete Ideen für Petitionen und Kampagnen werden wöchentlich an eine zufällig ausgewählte Stichprobe von 10.000 Mitgliedern geschickt. Umgesetzt werden jene Projekte, die von den Mitgliedern als besonders relevant erachtet werden. Das Avaaz-Team stellt keinen festen Aktionsplan auf - es betont, im Dienst seiner Mitglieder zu stehen. Dennoch gibt es regelmäßig Kritik, das Netzwerk sei nicht frei von politischen und finanziellen Verstrickungen und Interessen: „Da gibt es nichts Geheimes oder Verborgenes. Avaaz ist zu Beginn von zwei Stiftungen finanziert worden, von denen es auch seine Anschubfinanzierung bekommen hat - MoveOn und ResPublica“, sagt Daniel Boese. „Seit 2009 ist Avaaz komplett durch kleine Mitgliederspenden finanziert. Niemand kann mehr als 5000 Euro spenden. Wir veröffentlichen einmal im Jahr unsere Jahresberichte und Jahresbilanzen und sind eine im Staat New York registrierte gemeinnützige Organisation“. 

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Zwei Themen stehen bei Avaaz derzeit langfristig im Fokus: „Wie sich Unternehmen in der Politik breitgemacht haben, es teilweise übernommen haben, Politik zu machen - und sogar die Institutionen mit zu gestalten, von denen sie eigentlich kontrolliert werden sollen. Der Kampf gegen corporate takeovers ist für uns eines der Hauptthemen unserer Zeit, neben dem Klimawandel - da ist nach dem großen Erfolg von Paris noch sehr viel Arbeit nötig, denn die aktuelle Übereinkunft muss jetzt mit Leben gefüllt werden.“

Für beide Ziele tut freilich ein Paradigmenwechsel Not, hin zu mehr zwischenmenschlichem Verständnis und einem verantwortungsvolleren Umgang mit Mensch und Ressourcen. Für Boese ist ein solcher Wechsel vor allem eine Frage von dauerhaftem Engagement und effektiver Zusammenarbeit: „Hinsichtlich des Klimawandels zum Beispiel gab es ja schon viele Abgesänge - nach dem Motto ‚Die Welt schafft es nie, auch nur einen verbindlichen Vertrag aufzusetzen‘. Durch viel Arbeit ist es trotzdem gelungen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, einen Paradigmenwechsel nicht nur durchzudenken, sondern auch zu gestalten. Durch die Flüchtlingskrise haben die Leute gemerkt, dass Globalisierung nicht nur den Kauf eines Apple-Handys bedeutet - sie steht in Europa auch als Mensch vor der Haustüre."

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Eine gesunde Umwelt, funktionierende Demokratien, die Achtung von Menschenrechten und einen für alle offenen Zugang zu Bildung, Wirtschaft und Politik ist für Daniel Boese kein unerreichbares Ziel: „Das ist eigentlich gar nicht so weit weg. Die Medien zeigen nur meistens den Horror des Tages, die schlechten Nachrichten. Man muss sich einfach daran erinnern, dass es funktionieren kann - und wie es dann aussehen mag.“

Der langfristige Erfolg der Organisation und ihrer Aktionen bleibt abzuwarten. Bis dahin ist Avaaz eine kraftvolle Stimme im Chor bürgerschaftlichen Engagements: die erste, die weltweit die Schlagkraft des Internets als Mittel der politischen Gestaltung nutzt.

Avaaz

(Nikolaus Wiesner, Januar 2016)