Erfüllter leben


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Buen Vivir

In Lateinamerika vollzieht sich eine bemerkenswerte Entwicklung. Ecuador und Bolivien haben das Ziel des "Buen Vivir", bzw. des guten Lebens als Verfassungsgrundatz festgeschrieben und damit politisches Neuland betreten. Die Verfassung zielt nicht auf wirtschaftliches Wachstum, sondern auf das ganzheitliche Wohlergehen der Menschen ab. Zugleich wurde in den Verfassungen die Natur zum Rechtssubjekt aufgewertet.

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Das neue Verfassungsziel fußt auf dem Verständnis des "Sumak Kawsay", einer Tradition der indigenen Andenvölker. "Sumak Kawsay" lässt sich mit "Buen Vivir" bzw. dem guten Leben übersetzen. Nach der Tradition der Andenvölker ist "Buen Vivir" eine Kultur des Lebens, die ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur anstrebt. Nicht Fortschritt und Wachstum sind die Lebensziele der Menschen, sondern die Produktion und Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes.

Das Ziel des Buen Vivir wurde im Zuge der Verfassungsreformen der Jahre 2006 bis 2008 in die Verfassungen Boliviens und Ecuadors aufgenommen. So steht in der Verfassung Ecuadors: "Das Buen Vivir erfordert, dass Personen, Gemeinschaften, Völker und Nationen tatsächlich im Besitz ihrer Rechte sind und ihre Verantwortlichkeiten im Kontext der Interkulturalität, des Respekts ihrer Diversität und des harmonischen Zusammenlebens mit der Natur ausüben." Darüber hinaus beinhaltet das Ziel dem Prinzip des guten Lebens den Schutz von Grundrechten wie das Recht auf Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Wasser.

Die Verfassungen Boliviens und Ecuadors sind so genannte transitive Verfassungen. Als solche sind sie nicht nur sehr ausführlich - für Kritiker zu ausführlich - und umfassen nicht nur Rechte, sondern weisen auch Wege in die Zukunft.  

Bei der Verwirklichung des Ziels "Buen Vivir" kommt es zu Problemen und Widersprüchen. Unter anderem auch deshalb, da es sich bei Bolivien und Ecuador um zwei Länder handelt, deren Wirtschaftskraft zu großen Teilen auf Abbau und Export von Rohstoffen beruht. Dennoch spielen die neuen Verfassungsprinzipien bei politischen Entscheidungen eine wichtige Rolle. In Ecuador wollten Umweltschutzorganisationen und indigene Gruppen ein Gesetz zur Regulierung des Bergbaus mit Berufung auf die neue Verfassung verhindern, was allerdings nicht gelang. Und Bolivien votierte 2011 in Cancun als einziges Land gegen den Klimakompromiss, mit der Begründung, dass dieser nicht zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels führen würde.

Eine abschließende Beurteilung der Verfassungsreformen Boliviens und Ecuadors sind noch nicht möglich. Bemerkenswert ist aber, dass ein Verfassungsziel, das auf Gleichgewicht und Harmonie mit der Natur sowie auf ein umfassendes Wohlergehen der Menschen setzt, in einem so genannten Entwicklungsland verankert wurde und nicht in einem materiell reichen Industrieland.

Weiterführende Literatur:

Thomas Fatheuer (2011), Buen Vivir - Recht auf gutes Leben. In: Schriften zur Ökologie, Band 17.

Alberto Acosta (2009), Das "Buen Vivir". Die Schaffung einer Utopie. In: juridikum 4/2009, S. 219-223.