Erfüllter leben


Übersicht Leuchttürme

Eine Nasenlänge voraus

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Regionale Bio-Produkte im Restaurant, Mahlzeiten bewusst schätzen und genießen, übrig gebliebenes Essen mit nach Hause nehmen, Reduzierung von Abfall und Energieverbrauch der Gastronomie, Leitungswasser statt Mineralwasser mit langen Transportwegen und und und: Die Ecoristorazione Trentino ist ein von der Regionalregierung der Autonomen Provinz Trient herausgegebenes staatliches Ökozertifikat für Restaurants und Catering: das erste in Italien - und etwas, das es in Deutschland bis heute nicht gibt.

Natürlich hatte sich die Regionalregierung des Trentino im In- und Ausland umgesehen, welche staatlichen Richtlinien und Labels es hinsichtlich Gastronomie und Nachhaltigkeit gibt - Pate für die Entwicklung der Ecoristorazione Trentino standen das skandinavische Ökolabel Nordic Swan und das Österreichische Umweltzeichen: Beide bieten auch für die Gastronomie Zertifikate an, die einen Betrieb als besonders umweltfreundlich und nachhaltig kennzeichnen. Darauf aufbauend entwickelten die Trentiner ein Konzept, das 2012 als Ökozertifikat eingeführt wurde.

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Wer das Zertifikat erhalten möchte, bekommt einen klar definierten, aber übersichtlichen Kriterienkatalog vorgelegt, zwei Seiten, keine Extrakosten, minimaler Aufwand - ein im von überbordender Bürokratie geplagten Italien sehr angenehmes Procedere. Das weiß auch Dr. Marco Niro, Leiter der Ecoristorazione Trentino: „Viele Gastronomen scheuen sich vor noch mehr Bürokratie und sind deswegen zurückhaltend, wenn es darum geht, sich neu aufzustellen - aber wir kommen ihnen maximal entgegen, und das wird gut aufgenommen“.

Obligatorisch sind für einen Ecoristorazione-Trentino-Betrieb ein Menü ausschließlich aus Trentiner Produkten; ebenso müssen auf der Speisekarte eine bestimmte Menge Zutaten, Lebensmittel und Getränke aus biologischer Landwirtschaft stammen; es dürfen keine Wegwerfprodukte wie Papierservietten benutzt werden; die Gäste können ihr eventuell übriges Essen in umweltfreundlichen Verpackungen mit nach Hause nehmen; der Betrieb muss auf die Möglichkeit hinweisen, Leitungswasser statt Mineralwasser zu trinken; er nutzt Energiesparlampen und mindestens zwei ökologische Reinigungsproduktlinien - und er bietet den Gästen die Gelegenheit, die umweltbewusste Arbeit des Betriebs kennzulernen. Weitere Kriterien sind fakultativ bzw. liegen in der Hand des Betreibers.

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Warum aber entwickelte ausgerechnet das Trentino ein solches Zertifikat? Der Status einer autonomen Region bietet in Italien gute Möglichkeiten: Ein Großteil der Steuereinnahmen bleibt in der Region, viele staatliche Kompetenzen werden regional geregelt, Gelder können schnell bewilligt und verteilt werden So entscheidet zwischen Alpen und Gardasee die Regionalregierung auch über alle Umweltfragen. „Nicht zuletzt“, sagt Marco Niro, „will man mit einem Autonomiestatus auch zeigen, dass man manches besser machen kann als andere Regionen. Natürlich“, fügt er an, „sind auch wir keine Insel der Glückseligen, auch bei uns gibt es Probleme mit der Umsetzung von Umweltnormen und Umweltgesetzen. Aber der Antrieb ist groß, etwas auf die Beine zu stellen, und anderswo in Italien ist die Situation für die öffentliche Hand noch schwieriger“.

Dementsprechend groß ist das Echo, das die Ecoristorazione Trentino hat: Mehrere italienische Städte haben sich schon in Trient gemeldet, um sich ausführlich über das Was und Wie der Ecoristorazione zu informieren; die Region Emilia Romagna hat auf Basis des Trentiner Vorbilds eine eigene Initiative zur Gastronomiezertifizierung gestartet, und die nationale Umweltbehörde in Rom ist mit Trient in Kontakt, um in Zukunft eventuell ein gesamtitalienisches Gastronomiezertifikat herauszubringen. „Sollte aus der Ecoristorazione Trentino eine Ecoristorazione Italia werden, wäre das für uns eine Ehre“, meint Marco Niro. 75 Mitgliedsbetriebe hat die Ecoristorazione bis dato. Zum Vergleich: In ganz Österreich tragen rund 250 Hotel- und Gastro-Betriebe das 1996 eingeführte Österreichische Umweltzeichen - da sind 75 binnen drei Jahren im kleinen Trentino ein absolut bemerkenswertes Ergebnis.   

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Wir möchten“, führt Niro weiter aus, „dass die Menschen ein Verständnis dafür entwickeln, dass es beim Essen nicht nur um die Fähigkeiten des Kochs geht, sondern dass Ingredienzien, Produkte und Professionalität eines Betriebs alle ihre kleine Geschichte haben, die mit der Umwelt in Beziehung steht. Wir möchten, dass die Leute auch an das denken, was hinter dem Essen steckt, was den Umweltabdruck angeht. Dass sie ein größeres Bewusstsein dafür entwickeln, wie und was sie essen, sowohl hinsichtlich der Umwelt als auch hinsichtlich der Gesundheit, die ja immer miteinander verbunden sind. Semplicità e sobrietà, einfach und mit Maß, das sind unsere Prämissen: Wir haben viele Gemeinsamkeiten mit Slow Food und auch mit ihnen zusammengearbeitet. Generell legen wir sehr großen Wert auf Synergien, auf gangbare neue Wege zusammen mit Landwirtschafts- und Handelsverbänden, mit verarbeitendem Gewerbe und Lieferanten, mit Abfallwirtschaft und Tourismus. Für die Zukunft möchten wir außerdem die Zahl unserer Mitglieder weiter kontinuierlich steigern und daraus eventuell eine Art Club machen, einen Kern, der weiterführende Initiativen zu Umwelt und Nachhaltigkeit mitprägt.“

Das alles mag in einer Region, in der die Umwelt - nicht zuletzt aufgrund der Abhängigkeit vom Tourismus - als maßgebliche Existenzgrundlage gesehen wird, logisch erscheinen. Und mit einem Autonomiestatus bei einer überschaubaren Bevölkerungszahl von gut einer halben Million Seelen lässt sich auch politisch manches leichter bewerkstelligen. Trotzdem müssen die Menschen es annehmen und mittragen. Und das geht wie überall mal leichter, mal schwerer. Auf alle Fälle, sagt Marco Niro, „kommt Bewusstsein vor Politik.“

Dezentralität ist auch hierzulande schon seit geraumer Zeit ein heiß diskutierter Begriff. Vielleicht wäre es auch in Deutschland interessant, in Bezug auf Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit noch mehr Initiative und Eigenverantwortung in die Hand der Bundesländer oder Regierungsbezirke zu legen - zumindest um zu sehen, ob dabei genauso viel „voglia di fare“, Lust am Tun, herauskommt wie im Trentino. Und damit uns scheinbare Nachhaltigkeitsmuffel nicht wieder eine Nasenlänge voraus sind. 

 

www.eco.provincia.tn.it/Ecoristorazione_Trentino/ (ital.)

www.eco.provincia.tn.it/Ecoristorazione_Trentino/pagina14.html (engl.)

www.ecoristorazionetrentino.it/ (ital.)

 

 

Nikolaus Wiesner, August 2015