Erfüllter leben


Übersicht Leuchttürme

Für die Energie gegen den Strom

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Am Anfang stand Tschernobyl. Kurz nach dem Reaktorunglück in der Ukraine gründete sich wie an vielen anderen Orten in Deutschland in Schönau im Schwarzwald eine Anti-Atom-Bürgerinitiative. Doch die Schönauer wollten sich nicht allein mit dem Protest gegen Atomkraft zufrieden geben: Man veranstaltete Stromsparwettbewerbe - 40% des Strommixes bestanden damals aus Atomstrom - und zog sich damit den Unmut des örtlichen Anbieters zu, der mit einer Klage wegen Geschäftsschädigung drohte. Das brachte überregionales Medieninteresse und die Unterstützung der alternativen Energieszene. Und man kam auf die Idee, das örtliche Stromnetz zu kaufen, die Stromversorgung des Orts selbst in die Hand zu nehmen. Diverse Hürden und zwei Bürgerentscheide später war es 1997 soweit: Die aus der Bürgerinitiative hervorgegangenen Elektrizitätswerke Schönau (EWS) kauften das Schönauer Stromnetz. Die Gelder kamen über eine kostenlose, bundesweite Werbekampagne zum Großteil aus Spenden und Bürgerbeteiligungen, und Schönau wurde als erste Gemeinde der Bundesrepublik kohle- und atomstromfrei.  

Nach diesem Erfolg begannen die EWS, ihren Ökostromvertrieb überregional auszuweiten. 1999, nach der Liberalisierung des Strommarkts, waren die EWS die ersten bundesweiten Anbieter von Ökostrom. Über die Jahre wurden weitere Strom- und Gasnetze zugekauft. Derzeit beliefern die EWS knapp 160.000 Kunden in ganz Deutschland mit sauberem Strom. Zu ihnen zählen so namhafte Unternehmen wie Alnatura, die Bayerischen Staatsforsten, eDarling, das Friedrichsbau Varieté Stuttgart, Ritter-Sport-Schokolade oder die SOS Kínderdörfer. Die Preise sind moderat, und laut einer Studie sind die Kunden der EWS diejenigen mit dem geringsten Stromverbrauch. 

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Ein Eckpfeiler der Unternehmensphilosophie der Schönauer ist der sinnvolle Einsatz des erwirtschafteten Gewinns: Mit ihm bemühen sie sich um das Vorantreiben einer dezentralen, demokratischen und ökologischen Energieversorgung. Der so genannte „Schönauer Sonnencent“, den die EWS aus den Kundenverträgen einbehalten, dient der Förderung des Anlagenbaus der Kunden (z.B. Photovoltaikanlage) sowie Informations- und Aufklärungskampagnen. Und wenn der Kunde mit seiner Anlage mehr Strom erzeugt, als er verbrauchen kann, kann er ihn ins Netz einspeisen und somit selbst zum Stromerzeuger werden. Natürlich gegen Bezahlung. Die EWS sehen sich in ihrer Ausrichtung noch immer politisch und als Teil der Anti-Atom-Bewegung: „Wir wollen sagen, was Sache ist und uns das Gefloskel sparen. Unser Ziel ist, dass die Energiewende gelingt“, konstatiert Vorstand Sebastian Sladek: „Wir machen aber keinen Lobbyismus. Ich schreibe lieber offene Briefe an Sigmar Gabriel - die er jedoch nicht beantwortet.“

Das Modell EWS zieht seine Kreise: In Regionen, in denen die EWS besonders viele Kunden haben, ziehen die örtlichen Versorger nach und erhöhen den Anteil des Ökostroms ihrer eigenen Stromlieferung - oder stellen ebenfalls komplett auf Ökostrom um. Die Pionierarbeit der Schönauer Elektrizitätswerke gilt vielen inzwischen als Anschauungsbeispiel für die Energieversorgung der Zukunft - und für die Befreiung aus der Abhängigkeit von deutschen und internationalen Energieriesen. Bürgereinsatz und Bürgerbeteiligung können also konkrete Veränderungen in bestehenden Systemen bewirken - auch ohne viel Arbeit oder großen Geldeinsatz: Mitentscheidender Bestandteil der Schönauer Genossenschaftsphilosophie ist die durch die Bürger gewährleistete finanzielle Unabhängigkeit des Unternehmens. Sladek schätzt, dass ein beträchtlicher Teil der EWS-Kunden in ihrem Selbstverständnis daran glaubt, durch eigenes Engagement etwas bewegen zu können: „Die Hälfte unserer Kunden sagt, sie seien nicht Kunde, sondern Mitglied bei den EWS.“ Die EWS sehen sich in ihrer Ausrichtung auch als Motivatoren für weltweite Energiegerechtigkeit: „Es geht darum zu zeigen, dass Veränderung Spaß macht und keine Bedrohung darstellt. Kurz: Willst Du Teil der Lösung sein oder Teil des Problems?“

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So weit, so gut. Doch wie sehen die Zeit- und Marktumstände aus? Ist die dezentrale, nicht auf reine Gewinnmaximierung ausgerichtete Genossenschaft das Modell für die Energieversorgung der Zukunft? Der Energiemarkt ist wettbewerbsintensiv, hat einen hohen Preisdruck, es wird mit harten Bandagen gekämpft. Für Sebastian Sladek ist hinsichtlich der Energiewende „Dezentralität in der Tat das richtige Mittel - es ist am schnellsten und am kostengünstigsten, mit möglichst vielen Akteuren, die sich daran beteiligen können“. Statt teuren Offshore-Windparks, deren Strom in den Süden der Republik transportiert werden muss und zum politischen Zankapfel wird, könne man „lokale und regionale Produktionskapazitäten überprüfen und sehen, was dort geleistet oder angehoben werden kann. Überall dort, wo man etwas aufbauen muss, ist die Genossenschaft das Mittel der Wahl.“ Statt einer top-down-Planung durch Einzelne, fügt Sladek hinzu, „ist es sinnvoller, mit der Gemeindeebene anzufangen und die nächsthöhere Ebene dann und für das tätig werden zu lassen, was die Gemeinde nicht leisten kann, eine Wirtschaftsweise, die einer Demokratie angemessen ist.“ Die Grenzen des Genossenschaftsmodells sieht Sladek bei der Massenproduktion: „Handys zum Beispiel kann man nicht genossenschaftlich herstellen“.

Die EWS sind für die Zukunft gut aufgestellt, das Geschäft läuft. Den eigenen Idealen konnte man treu bleiben, auch wenn man „nicht unbedingt ein reines Postwachstumsunternehmen ist“, wie Sebastian Sladek darlegt: Die Ideale und vielseitigen Aktivitäten der EWS haben einen gewissen Finanzbedarf. Wert legt er als EWS-Vorstand aber darauf, dass es „im Zusammenspiel der Unternehmen in einer Branche sehr sinnvoll sein kann, wenn sich jeder auf seine ideale Größe beschränkt.“ Viele aktuelle Entwicklungen in Politik und Wirtschaft sieht Sladek dagegen mit großer Sorge: „Das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz hat zum Ziel, die bürgerschaftlichen Akteure aus der Energiewende hinauszudrücken. Die Regelungen im Energiemarkt sind so unübersichtlich, dass zum Teil nicht einmal die Aufsichtsbehörden durchblicken. Die Wirtschaft funktioniert nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Diesem Prinzip muss die Politik deutliche Grenzen aufzeigen. Der freie Wettbewerb ist kein Wert an sich.“ Ein Gebot der Stunde für alle, die sich um eine Änderung schwieriger Verhältnisse bemühen, egal ob im Energiebereich oder anderswo, ist für Sebastian Sladek das Networking: „Es gibt viele Gruppen, Initiativen und Organisationen, die sich um wichtige Ziele bemühen, aber das Networking fehlt noch.“ Daran aber lässt sich leicht arbeiten. Nicht nur im Schwarzwald und nicht nur in Deutschland.

www.ews-schoenau.de

(Nikolaus Wiesner, Mai 2015)