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Im Zeitalter des Homo Collaborans

"Das britische Wirtschafts- und Politikmagazin 'The Economist' hat 2011 die 'Sharing Economy' als einen der zehn wichtigsten globalen Gesellschafts- und Wirtschaftstrends für die kommende Dekade bezeichnet. Im März 2013 legte das Magazin nach mit dem Beitrag 'The Rise of the Sharing Economy', der einen Überblick über vielfältige Initiativen und Aktivitäten rund ums Nutzen, ohne zu besitzen, ums Tauschen, Teilen und Leihen gab. Der Economist ist bekanntermaßen kein sozialistisches oder öko-fundamentalistisches Blatt, sondern ein global orientiertes wirtschaftsliberales Leitmedium mit der Kraft, vor allem bei politischen und wirtschaftlichen Eliten Themen zu setzen. Auch in Deutschland gibt es seit etwa zwei Jahren eine breit geführte Berichterstattung zur Sharing Economy. Mit Blick auf die internationale und nationale Medienaufmerksamkeit sowie einer - für Medienverhältnisse - erstaunlichen Langlebigkeit des Themas stellen sich einige Fragen: Ist die Sharing Economy nur ein besonderes Medienphänomen oder steckt mehr dahinter? Was konkret ist die Sharing Economy und ist es tatsächlich etwas Neues oder nur eine neue Verpackung für Altbekanntes?

Vieles spricht dafür, dass die Sharing Economy deutlich mehr ist als ein oberflächlicher Medienhype. Auch wenn bekanntermaßen die Medienrealität nicht der 'realen Realität' eins zu eins entspricht und manches in der konkreten Wirklichkeit weniger dramatisch oder innovativ ausfällt, als es die Medien präsentieren, so gibt es doch zahlreiche Argumente dafür, dass die Sharing Economy existiert und mehr ist - oder zumindest das Potenzial hat, mehr zu sein - als ein Nischenphänomen. Dies lässt sich festmachen an vier wesentlichen Entwicklungen: Erstens sind in den vergangen drei bis fünf Jahren mit hoher Dynamik Start-ups mit internetbasierten Geschäftsmodellen, insbesondere Tausch- und Leihbörsen, gegründet worden. Risikokapitalgeber sind, vor allem in den USA, mit teilweise erheblichen Finanzsummen in Unternehmen der Sharing Economy eingestiegen.

Zweitens haben etablierte Wirtschaftsunternehmen neue Angebote für Produkt-Dienstleistungssysteme entwickelt respektive unter Nutzung der erweiterten Möglichkeiten von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie sozialen Medien weiterentwickelt; beispielhaft hierfür sind die Carsharing-Angebote großer Automobilkonzerne oder Autovermietungen. Drittens erleben an vielen Orten bürgergesellschaftliche selbstorganisierte Initiativen wie städtisches gemeinschaftliches Gärtnern, lokale Tauschringe und Wohnprojekte mit Gemeinschaftsflächen einen Aufschwung. Viertens ist die Sharing Economy international auch in der (Kommunal-)Politik angekommen und wird von progressiven Kräften aktiv vorangetrieben. Besonders hervorzuheben sind hier die strategische Ausrichtung der südkoreanischen Hauptstadt Seoul im Rahmen des 'Sharing City Seoul'-Projekts sowie das Städtenetzwerk 'Shareable Cities' in den USA, zu dem sich 15 (Groß-)Städte, unter anderem New York und San Francisco, zusammengeschlossen haben. Ziel von beiden Initiativen ist, es Regulierungen, die der Sharing Economy entgegenstehen, anzupassen und Fördermaßnahmen einzurichten."

Quelle: Heinrichs, Harald (2013), Im Zeitalter des Homo Collaborans, in: Politische Ökonomie, 135, S. 99-106