Erfüllter leben


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Mut zu Visionen: Brücken in die Zukunft -
Jahrbuch Ökologie 2014

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"Visionen? Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, aber nicht in die Politik - so meinte einst ein heute hochgeschätzter ehemaliger Bundeskanzler. Ohne Zweifel gibt es große Vorbehalte gegen visionäres Denken. Man befürchtet mentales Glatteis, fromme Wünsche, Flucht aus der Realität, den Missbrauch von Visionen als taktisches Manöver zur Erreichung ganz anderer Ziele. Diesen Vorbehalten wollen wir nicht zuarbeiten. Uns steht vielmehr vor Augen, was ein Visions-Denkverbot bewirken kann: beispielsweise die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verhindern, die Verantwortung für mehr Transparenz, die Beleuchtung all dessen, was ökologisch unterbelichtet ist. Wir wollen damit auch helfen, den vielzitierten Satz auf den Kopf zu stellen: Wer keine Visionen hat, taugt nicht zum Politiker!

[...] Wir suchten diese Chance zunächst bei einem derzeit höchst strittigen Thema: Europa. Wie steht es um die Vision eines nachhaltigen Europas? Die Europäische Union erhielt als politische Idee den Friedensnobelpreis. Man sah darin ein Lob, man kann darin aber auch eine Verpflichtung für mehr Nachhaltigkeit verstehen. Was aber wäre dann die angemessene Politik? Darum geht es in Teil I.

Teil II widmet sich dem 'Dreigestirn' des Denkens über Nachhaltigkeit, den strategischen Komponenten Effizienz, Suffizienz und Konsistenz. Denken ist nicht gleich Tun - und viel zu selten steht am Ende des Denkens über Nachhaltigkeit das wirkungsvolle Handeln. Drei Vordenker zeigen, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen können. Dem Visionieren über die Elemente des guten, besseren Lebens gelten dann die Beiträge in Teil III. Gelassenheit ist ein solches Element, Subsistenz sollte eines werden. Nur mit mehr Gelassenheit können wir Stress und Burn-out überwinden und dem Rat-race entgehen. Subsistenz ist ein Element eines modernen Wirtschaftens, das seine ökologischen Grundlagen erhält. Es gibt vielfältige Beispiele des Homo socialis, der Menschen und Gemeinden, die auf der Suche nach einem sozial, nicht materiell begründeten Glück sind. Dass es auch den Homo sustinens, den der Nachhaltigkeit verpflichteten Menschen gibt, ist in der Kulturgeschichte konkreter beschrieben, als wir das in der wachstumsfixierten Welt erinnern. Die Frage aber ist, ob wir uns dieses Menschenbild für die Zukunft vorstellen wollen.

Ganz anders als die vorherrschende Wachstumsfixierung zu denken zulässt, ist die Wirtschaft - und war sie immer schon - geprägt von Phänomen des Wachsens und des Schrumpfens. In Teil IV werden einige Beispiele vorgestellt: Die globale Energiewende muss durch Dekarboniserung der Wirtschaft geprägt sein. Seltene Erden müssen nicht nur gewonnen, sie müssen auch wiedergewonnen werden. Ein Industrieland wie Deutschland verfügt über große, theoretisch unendliche Rohstoffvorkommen in urbanen Minen, wenn - ja wenn - Urban mining zum Thema würde. Dann wäre kein Satz falscher als der, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land.

Dass es eine Reihe solcher und ähnlicher Schritte zur Nachhaltigkeit gibt, zeigt Teil V. Die Umweltbewegung hat dazu beigetragen, amtliche Informationen transparanter zu machen; nun aber steht ein überzeugendes Gesamtkonzept der Informationsfreiheit an, sagt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Über zockende, rücksichtslose Finanzmarktakteure mussten wir in den letzten Jahren viel erfahren, nun aber entsteht auch hier eine neue Vision: Finanzmarktakteure können sich stark für Nachhaltigkeit engagieren. Das Nachhaltigkeitsbaromenter steht auch nicht ungünstig, wenn man Jugendliche nach ihren Zukunftsvisionen befragt. Dass die Meere von einem Teil ihrer Müllteppiche mit Hilfe neuer Technik befreit werden können, zeigt ein visionärer Ingenieur, während man dem Smart metering keinen großen Stromspareffekt zumessen mag. Ganz anders, so wird vermutet, steht es um Stiftungen als ökologische Ideengeber."

Quelle: Jahrbuch Ökologie 

Simonis, Udo Ernst/Leitschuh, Heike/Michelsen, Gerd/Sommer, Jörg/von Weizsäcker, Ernst Ulrich (Hrsg.) (2013), Mut zu Visionen: Brücken in die Zukunft - Jahrbuch Ökologie 2014, Stuttgart