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Suffizienz als politische Praxis - Ein Katalog

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"Die hier vorgelegte Arbeit begibt sich auf ein noch selten bestelltes, eher gemiedenes Feld: die politische Verwirklichung der Suffizienz. Dieses Ausweichen hat Gründe. Für Nachhaltigkeit sind alle. Fast alle erwarten aber auch, dieses Ziel lasse sich mit innovativen Techniken und erneuerbaren Energien erreichen, ohne dass die Bewohner der hoch entwickelten Länder ihr Leben und Wirtschaften verändern müssen. Dieser Erwartung wird hier widersprochen. Nach weithin akzeptiertem Verständnis ruht Nachhaltigkeit, und mit ihr die Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation, auf den drei Säulen Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Effizienz richtet sich auf die ergiebige Nutzung von Materie und Energie. Konsistenz sucht naturverträgliche Technologien, die die Ökosysteme nutzen ohne sie zu zerstören. Suffizienz erstrebt einen geringeren Verbrauch von Ressourcen durch eine verringerte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, so weit die letzteren Material und Energie verbrauchen. Suffizienz im Sinne dieses Textes ist also die bewusste und beabsichtigte Verringerung des Bedarfes an Energie, vor allem fossiler Herkunft, an endlichen Rohstoffen und an Fläche. Suffizienzpolitik richtet sich auf ihre Begrenzung in Produktion und Konsum durch fördernde und verpflichtende Maßnahmen der öffentlichen Hand...

...Das bedeutet: Ein 'gestaltender Staat' wird durch Ermöglichen und Fördern wie durch Gesetze und Verordnungen den Raum abstecken, in dem Freiheit herrschen kann. Er wird erneuernde Potentiale begünstigen und den Ordnungsrahmen für sie schaffen. Er wird ein bestimmtes Verhalten mit Anreizen ermutigen und ein anderes mit Belastungen entmutigen. Steuern und Abgaben werden erhöht und schädigende Subventionen und Vergünstigungen werden beendet werden müssen. Der hier vorgelegte Katalog von konkreten Suffizienzpolitiken zeigt dazu verschiedene Möglichkeiten. Diese Untersuchung konzentriert sich dabei auf einen Ausschnitt der Nachhaltigkeit, der besondere Dringlichkeit hat. Es ist einmal die Notwendigkeit, die Erwärmung der Erdatmosphäre bei zwei Grad über dem Stand zu Beginn der Industrialisierung (um 1850) zu beenden und darum die Emittierung von Treibhausgasen aus fossilen Energiequellen in wenigen Jahrzehnten um 80 bis 95 Prozent zu senken. Es sind zweitens die strategisch knappen Rohstoffe, die so sparsam wie möglich eingesetzt werden müssen, um auf lange Zeit lebensnotwendige Produktionen zu gewährleisten...

...Der Katalog ist nicht nach Sachgebieten aufgebaut, sondern nach Eingriffstiefe und vermutlicher Akzeptanz der Maßnahmen. Im ersten Abschnitt stehen Politiken, die wohl die Zustimmung des größten Teils der Bevölkerung finden werden, weil sie ihr Leben erleichtern oder jedenfalls nicht beschweren werden. An einigen von ihnen kann verpflichtende Suffizienz eingeübt und auch als bereichernd erlebt werden, weil sie nicht selten die einfacheren, kostengünstigeren, weniger konfliktträchtigen Lösungen bereitstellen. Ihr Ertrag für den Klimaschutz und die Ressourcenschonung ist freilich begrenzt. Der zweite Teil enthält Politiken, die Umstellungen und neues Nachdenken erfordern, die einen spürbaren Eingriff in das Gängige und so gern Gewählte bedeuten, für die Routinen gewechselt und neue Gewohnheiten gefunden werden müssen, die aber keinen tief greifenden Wandel der Lebensweise erfordern. Ihr Beitrag zum Erhalt der Natur fällt durchaus ins Gewicht. Im dritten Teil stehen die Politiken, die in das gewohnte Leben und Wirtschaften eingreifen, die ein gründliches Umdenken und die auch Verzichte fordern. Dafür leisten sie einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die hier vorgestellten 30 Politiken sind keine erschöpfende Aufstellung. Es sind Beispiele, Stellvertreter, ein Strauß von Möglichkeiten sehr unterschiedlicher Reichweite. In diesem Register werden die Suffizienzpolitiken einzeln vorgestellt. Viele von ihnen gehören in den Zusammenhang systemischer Veränderungen, am einleuchtendsten zu zeigen an den Mobilitätssystemen oder in der Agrarwissenschaft und Agrarwirtschaft. Der Text will einen Überblick geben, worüber in einem der Nachhaltigkeit verpflichteten Teil der Gesellschaft nachgedacht wird. Über die mit den jeweiligen Politiken zu erreichenden Einsparungen, über ihre ökonomischen Konsequenzen und ihre sozialen Auswirkungen kann diese Aufstellung nur grobe Angaben machen. Um ihre Wirksamkeit, also ihre Stärken wie ihre Schwächen im Einzelnen zu ermitteln, sind detaillierte Untersuchungen nötig."

Quelle: Einführung "Suffizienz als politische Praxis - ein Katalog"

Manfred Linz, Suffizienz als politische Praxis - ein Katalog, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal 2015, 55 S.