Erfüllter leben


Übersicht Leuchttürme

Luftschloss vs. Holzweg

smallImage

Florian Lichtblau  vergrößern

Ein Gespräch mit dem Architekten Florian Lichtblau

Bauen und Nachhaltigkeit - wie ist der Status Quo?

Bauten sind unser aufwendigstes und langlebigstes Wirtschaftsgut. Gut 50 Prozent des Materials, das eine Industriegesellschaft verbraucht, sind um das Bauen angesiedelt. Ebenso etwa 50 Prozent des Energieverbrauchs und über 60 Prozent aller Abfälle. Wir sollten uns auch bewusst sein, dass im Durchschnitt jeder von uns 120 Tonnen Materie allein für Wohnzwecke „auf dem Buckel“ hat - ohne Infrastruktur, Verkehr oder sonstiges. Diese 120 Tonnen bestehen zum Großteil aus künstlich erzeugten, mit fossiler Energie aufbereiteten und transportierten Grundstoffen. Bautechnische Nachhaltigkeit ist daher ein wichtiges Thema. Zur Zeit spielen beim Bauen jedoch meistens nur ökonomische und repräsentative Erwägungen eine Rolle.

smallImage

Dachgarten  vergrößern

Hätten wir ökologische Kostenwahrheit, verhielten wir uns anders. Dann könnte wahrscheinlich nichts so bleiben, wie es ist - das Bauen nicht, unser Wirtschaftssystem nicht, die gesellschaftlichen Strukturen und das politische Handeln nicht. Wo bleibt die ökologische Steuerreform? Wie soll eine Energiewende funktionieren, solange es steuer- und straffrei bleibt, CO2 in die Atmosphäre zu entlassen? Es geht darum, das Verursacherprinzip einzuführen, ohne jemanden dabei zu strangulieren. 

Sie haben 2014 den Bayerischen Energiepreis für Gebäude und Gebäudekonzepte bekommen...

Für die Erneuerung eines Wohnquartiers aus den fünfziger Jahren in modernster Holzbauweise, im Münchner Stadtteil Sendling. Die Jury hat erkannt, dass Bau und Betrieb zu einem Ganzen zusammenwachsen müssen und ein Zielkatalog nötig ist, der Funktion, Bauweise und energetische Faktoren gleichermaßen berücksichtigt und viel für die Menschen und das soziale Umfeld tut. Wir haben in Sendling 1100 Kubikmeter Holz verbaut, es ist im Augenblick Münchens größter Holzbau. Dies bedeutet gleichzeitig 1100 Tonnen CO2-Entlastung und aktiven Klimaschutz. Nachhaltige Altbauerneuerung verbindet Bestandserhalt mit dem Weiterbau aus nachwachsenden Rohstoffen.

bigImage

Altbausanierung Sendling im Urzustand ©Florian Lichtblau und Altbausanierung Sendling heute ©Stefan Müller-Nauman

Viele Bauten, die sauber gestaltet wurden, werden mehrfach instandgesetzt. Sie haben deswegen nicht nur ein langes Leben, sie sind auch kulturell verankert. Nur was bei den Menschen in Bauch und Herz ankommt, wird gepflegt und an die Nachkommen übergeben. Gebäude gleichsam wegzuwerfen ist aus vielerlei Gründen fatal. Allerdings sind die Bauherren diesbezüglich oft nicht informiert. 80% der Bauten entstehen ohne Architekten oder durch Trägergesellschaften, die ihren Architekten kaum Freiraum lassen. Die meisten freien Architekten sind Einzelkämpfer und in mancher Hinsicht zu willfährig. Keiner natürlich absichtlich - jeder hat hehre Ideale und Prinzipien, aber vielleicht konnte er zu wenig Zeit aufbringen, um sich fachlich immer weiter auf den letzten Stand zu bringen. Und hat keine entsprechende Nachfrage von Bauherrenseite bekommen. 

smallImage

Sendling ©Stefan Müller-Naumann vergrößern

Wie ist es aktuell um den Städtebau bestellt?

Die Situation ist beklagenswert. Es geht derzeit darum, Verfügbarkeiten unter baurechtlichen und juristischen Gesichtspunkten zu einem maximalen Profit zu führen. Der Städtebau ist kaum mehr als ein Patchwork aus Investorenprodukten, die von Architekten aufgestylt werden. Es wird fundierte Kritik laut, dass diese Investorenprodukte nicht mehr funktionieren. Doch was tun? Für mich geht es im Städtebau um Raumbildung, Fassaden, Nutzungsvielfalt und sozialen Kontakt, um die Identifikation mit einem Viertel. Wir sollten auf eine Konsolidierung der Bausubstanz achten - und darauf, dass sich der Flächenfraß nicht weiter ausbreitet. Das ist sehr wichtig, denn Vorortzonen z.B. sind auch sozial nicht beherrschbar, wenn sie keine Qualitäten haben, die Identifikation und Schutz der Bewohner bewirken. Paris ist ein trauriges Beispiel dafür. 

smallImage

Dachgarten  vergrößern

Sind die Universitäten in der Lage, angehenden Architekten neue Denkweisen zu vermitteln?

Die Universitäten haben meines Erachtens ein hausgemachtes Problem: Die Dozenten haben oft entweder ihr eigenes Architekturbüro und können aus Zeitgründen den Studierenden nicht so viel beibringen, wie sie möchten oder sollten. Oder sie sind nur in Lehre und Forschung tätig und können nicht wirklich vermitteln, was aktuell in der Praxis geschieht. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, die heute schnell wachsenden Erkenntnisse und Anforderungen interdisziplinär in den Lehrbetrieb einzubauen und in der Projektarbeit zu vermitteln. Eine Architekturfakultät sollte zu mindestens 50 Prozent aus zeitlich befristeten Praxis-Profis bestehen - und die müssten ordentlich honoriert werden. 

smallImage

Sendling ©Stefan Müller-Naumann vergrößern

Was muss getan werden, um Bauen, Nachhaltigkeit und Menschlichkeit in Einklang zu bringen?

Ich glaube, dass es für die Stadtplanung und Architektur mit einem neuen, menschlichen und nachhaltigen Antlitz ein enormes Potential gibt. Dazu müssten vor allem drei Voraussetzungen erfüllt sein: Die ökologische Kostenwahrheit nutzen, die Kompetenz der Architekten stärken und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten fördern. Ich bin der Überzeugung, dass Langfrist-Ökologie und Langfrist-Ökonomie deckungsgleich sind. Das lässt sich an vielen Beispielen ganzheitlicher Architektur und ihren Lebenszykluskosten nachweisen. Offenheit für Neues und Kreativität müssen sich lohnen, auch für die Investoren. 

Wie könnte Ihrer Meinung nach eine dem Menschen dienende Architektur im Städtebau aussehen?

Sie sollte durch Offenheit, Kulturbewusstsein, Kooperationsfreude und gegenseitiges Interesse geprägt sein. Was die Bauweise angeht – es sollte viel mehr aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut werden. Die Menschen könnten oft im Gebäude wohnen und arbeiten. Es müsste nicht unbedingt ein Plus-, sollte aber ein Nullemissionsprojekt sein, das möglichst energieautark ist. So simpel, offen und flexibel wie möglich, denn Variabilität ist neben Material und Gestaltung ein ganz entscheidender Langlebigkeitsfaktor in der Architektur. Wichtig wäre für mich das Tageslicht in großzügig bemessenen Bereichen. Die Architektur, also Raumbildung und Einbettung in einen größeren Zusammenhang, ist meines Erachtens der Nährboden für das Soziale und die Kultur. Gute Beispiele dafür hat Tom Kaden in Berlin geschaffen - er hat wegweisende Holzbauten in städtische Strukturen eingebettet.

bigImage

LIA Lebenshilfe Allgäu, Lichtblau-Bau ©Florian Lichtblau

(Nikolaus Wiesner, März 2016)