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Gibt es mehr als das BIP?

Ein Überblick über nationale und internationale Initiativen zur alternativen Messung von Wachstum und Wohlstand

Ende 2010 setzte der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" ein. Sie soll u.a. einen ganzheitlichen Wohlstands- bzw. Fortschrittsindikator entwickeln. Hierüber berichtete das Denkwerk Zukunft bereits ausführlich. Neben Deutschland befassen sich aber auch andere früh industrialisierte Länder und internationale Organisationen mit alternativen Methoden der Wohlstandsmessung.  

Ein Vorreiter war Frankreich. Hier wurde 2008 die sogenannte Stiglitz-Sen-Fitoussi- Kommission von Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit der Aufgabe betraut, die Grenzen des Bruttoinlandproduktes (BIP) zur Messung gesellschaftlichen Fortschritts aufzuzeigen sowie mögliche Alternativen zu identifizieren. 2009 veröffentlichte sie ihren Abschlussbericht. Darin übt sie Kritik an der klassischen Wohlstandsmessung mittels des BIPs und gibt Empfehlungen für umfassendere Messmethoden. Anknüpfend an die Kommissionsergebnisse wurde der französische Conseil d'Analyse Économique angewiesen, in Kooperation mit dem deutschen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine Expertise zur Messung von nachhaltigem Wachstum und gesellschaftlichem Fortschritt zu erstellen. Die Ergebnisse in Form eines umfassenden Indikatorensystems wurden im Dezember 2010 veröffentlicht. Sie sollen die Erarbeitung konkreter Vorschläge der Wohlstandsmessung auf europäischer Ebene befruchten. 

Auch Großbritannien arbeitet an alternativen Methoden der Wohlstandsmessung. Inspiriert durch die Ergebnisse der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission wies der britische Premier David Cameron 2010 das Office for National Statistics (ONS) an, eine umfassende Messgröße für das Wohlbefinden ("wellbeing") der Nation zu entwickeln. Um dabei die Meinung der Bürger einzubeziehen, führte das ONS Anfang 2011 eine Umfrage durch. Deren Ergebnisse sollen im Sommer 2011 und die neue Messgröße Mitte 2012 veröffentlicht werden.  

In Italien und Spanien wurden ebenfalls nationale Initiativen gestartet. Im Dezember 2010 wurden das italienische Amt für Statistik (ISTAT) und der Rat für Wirtschaft und Arbeit (CNEL) damit betraut, eine gemeinsame Definition von Fortschritt und dessen Dimensionen zu finden und hierauf aufbauend ein Indikatorenset zu entwerfen. Ergebnisse der Initiative werden für Dezember 2012 erwartet.

In Spanien wurde ein runder Tisch einberufen, an dem u.a. der spanische Ableger des Club of Rome, das Beobachtungszentrum für Nachhaltige Entwicklung in Spanien sowie Vertreter des Amts für Statistik teilnehmen. Neben diesen Organisationen sollen am runden Tisch Vertreter aller Gesellschaftsgruppen zu Wort kommen, um einen Überblick über das Wohlstandsverständnis der spanischen Bevölkerung zu geben. Ferner werden in drei Arbeitsgruppen konkrete Vorschläge zur Wohlstandsmessung erarbeitet.

Darüber hinaus beschäftigen sich auch internationale Organisationen wie die Europäische Union, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Vereinten Nationen mit Alternativen zur traditionellen Wohlstandmessung.

Auf EU-Ebene wurde bereits 2007 durch die EU-Kommission das Projekt "Beyond GDP" initiiert und 2009 eine Mitteilung an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament veröffentlicht, in der allgemeine Vorschläge zur Verbesserung der Wohlstandsmessung unterbreitet werden. Darauf aufbauend verabschiedete das Europäische Parlament im Juni 2011 eine eigene Resolution. Darin fordert es, eindeutige und messbare Indikatoren zu entwickeln, "mit denen dem Klimawandel, der Artenvielfalt, der Ressourceneffizienz und der sozialen Eingliederung Rechnung getragen werden kann."

Die OECD hat u.a. die "Better Life Initiative: Measuring Well-being and Progress" gegründet sowie die Internetseite wikiprogress.org mit umfassenden Informationen rund um nationale und internationale Initiativen und alternative Verfahren der Wohlstandsmessung eingerichtet.

Am 19. Juli 2011 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine vom Himalayastaat Bhutan entworfene Resolution verabschiedet. Darin fordert sie ihre Mitglieder auf, bei der Messung von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt den Themen Glück und Wohlbefinden mehr Bedeutung beizumessen und hierfür entsprechende Schritte einzuleiten.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier:

www.wikiprogress.org

www.beyond-gdp.eu

www.stiglitz-sen-fitoussi.fr

www.ons.gov.uk/well-being

http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=39084&Cr=general+assembly&Cr1