Erfüllter leben


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Nachhaltige Lebenslust

Kirchheimbolanden, über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannt als die „Kleine Residenz“ der Fürsten von Nassau-Weilburg, ist ein bildschöner mittelalterlich-barock geprägter Ort mit bewegter Geschichte. Seine Blütezeit erlebt das Städtchen im 18. Jahrhundert, als die Nassauer Herrscher hier für eine glanzvolle Epoche sorgten, Mozart zu Gast hatten und an ihrem Schloss einen nahezu einzigartigen barocken Terrassengarten anlegten, der zu den schönsten Deutschland zählte. Über die Jahrhunderte wurde der Garten umgestaltet und schließlich teilweise zum Weinberg - bis sich nur noch wenige an ihn erinnerten.

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(Foto: Stepan, Kirchheimbolanden) vergrößern

2008 wurde ein Projekt zur Wieder-herstellung dieses Kulturschatzes ins Leben gerufen: Ein weit gefasster, interdisziplinärer Zirkel mit Bürger-meister, Stadtverwaltung, Ingenieuren, Bauforschern, Gartenhistorikern und Denkmalbehörde arbeitet dabei Hand in Hand mit Kirchheimbolandener Bürgern sowie einem Freundes- und Förderkreis. Zu diesem Zirkel gehört Dr. Lydia Thorn-Wickert, Chefin einer internationalen Kulturagentur. Nach verschiedenen Stationen in London, Rom oder New York arbeitete sie gerade von Bonn aus, als sie einem Anruf vom Kirchheimbolander Stadtsanierer erhielt; er hatte von ihr und ihrer Arbeit gehört: Man habe im Ort die Reste eines großartigen barocken Terrassengartens, ob sie sich die nicht einmal ansehen wolle. Vor Ort war sie sofort begeistert: Sie und ihr Mann beschlossen, „sich komplett einzubringen und nach Kirchheimbolanden zu ziehen. Es war wie eine Fügung - wir sagten uns, das machen wir jetzt einfach und sehen, wie weit wir kommen“.

Die Vision, die alle Beteiligten umtreibt, betrachtet die Wiederherstellung des barocken Terrassengartens nicht nur als Arbeit an einem überregional bedeutenden Kulturdenkmal, sondern als Möglichkeit, einen Ort zu schaffen, der herausragende kulturelle und kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten bietet - und Kirchheimbolanden als attraktiven Wirtschafts- und Kulturstandort ins Bewusstsein bringt.

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Und so wird in Kibo, wie das Residenz-städtchen auch liebevoll genannt wird, seit geraumer Zeit nicht nur vermessen und ausgegraben - es werden mit Stein-metzen, Gärtnern und Schreinern Handwerksprojekte gestaltet, auch im internationalen Austasch; ein Kircheim-bolander Confisier stellt Mozartpralinen her, eine Bäckerin Barocktaler. Historische Dokumente werden ausge-wertet, um die einstige Gestaltung des Barockgartens exakt nachvollziehen zu können. Regelmäßig finden Veranstaltungen zum Thema statt, es wird Bildungsarbeit geleistet und mit den Schulen zusammengearbeitet: „Eine Schülergruppe des Kirchheimbolander Gymnasiums hat bei mir geklingelt - sie hätten ein Barocktheaterstück geschrieben, könnten es aber an der Schule nicht aufführen, ob ich eine Idee hätte. Es wurde auf der Baustelle aufgeführt. Ein anderer Schüler schrieb seine Facharbeit über den Barockgarten, entwickelte die Idee, dort auch eine Strandbar bzw. etwas für junge Leute zu machen und hat ein Modell gebaut, wie die Zukunft dieses städtischen Raums aussehen könnte“, erzählt Lydia Thorn-Wickert.

Deswegen, fügt sie hinzu, „ist es auch gut, dass die Wiederherstellung des Gartens Stück für Stück vorangeht“. Wenn es zu schnell gehen würde, könnte man manche der Zielsetzungen des Projekts nicht so umsetzen, wie gewünscht: „Der vergessene Garten von Kirchheimbolanden soll ein ‚think tank‘ für die nachhaltige Gestaltung der eigenen zivilgesellschaftlichen Lebenswirklichkeit sein“, wie es Bürgermeister Klaus Hartmüller ausdrückt. 

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Die Restaurierung des Kirchheim-bolander Barockgartens ist ein Projekt an der Schnittstelle zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft - genau dort, wo Lydia Thorn-Wickert seit langem  arbeitet und ihre Aufgabe sieht: „Wir haben keine übergreifende Kommunikation zwischen Kunst und Politik, Wirtschaft und Philosophie, zwischen den Menschen im ländlichen Raum und in den Metropolen. Das muss sich ändern. Unser Projekt arbeitet für eine größere Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität. In Zeiten der virtuellen Kommunikation gibt es das Provinzielle nur noch in den Köpfen, denn jeder hat Zugang zu allem. Wenn sich dann jemand nicht bewegen kann, ist das eine reine Kopfsache, keine geographische Angelegenheit wie früher. Die Pfalz möchten wir zu einer Innovationsregion Westeuropas machen“, schwärmt sie.

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Um nachhaltig, generationen-übergreifend und menschenoriertiert handeln zu können, sind konkrete, fassbare Projekte, bei denen möglichst viele mitmachen können, eines der besten Mittel: „Man muss mit den Menschen reden, und das geht eigentlich nur, wenn man konkret etwas macht. Man muss sich mit dem beschäftigen, was vor Ort vorhanden ist. Viele Menschen sind mit dem nackten Überleben beschäftigt, andere lenken sich mit viel Konsum und nichtigen Dingen selbst von den Hauptaufgaben der Gesellschaft ab - beide Gruppen müssen wir gewinnen.“ Lydia Thorn-Wickert sieht im Barockgarten-Projekt auch konkrete Bezüge zu den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen: „Wir müssen die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden. Zum Beispiel wollen Flüchtlinge, die zu uns kommen, etwas von unserer Kultur erleben, gleichzeitig ist bei uns davon wenig bis nichts zu finden. Für unsere Geschichte interessieren wir uns oft selbst nicht. Identitätsstiftende Maßnahmen sind nötig - unser Barockgarten ist so eine. Es geht darum, die Menschen für die Umgebung zu sensibilisieren, in der sie leben“.

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Und wie lange wird es noch dauern, bis der Kirchheimbolander Terrassengarten wieder in voller Pracht erstrahlt? Die unterste Ebene des Gartens wird demnächst Instand gesetzt und soll schon in absehbarer Zeit für Veranstaltungen genutzt werden. Wenn alles so klappt wie derzeit geplant, sieht Lydia Thorn-Wickert 2020 Gruppen-führungen durch den Garten, Cafés im Garten, dazu dann Open-Air-Konzerte, Tanz und Ballett, genauso wie die Strandbar oder Veranstaltungen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft ihren Platz haben sollen. Ihr großer Traum ist schließlich der, aus Kirchheimbolanden ein „kleines Salzburg“ zu machen: Ein jährliches, hochkarätiges Festival mit inter-nationalem Publikum, mit namhaften, jüngeren künstlerischen Leitern und artists in residence. Ein Festival, das selbstredend auch die Schönheit des Gartens und der Region propagiert. „Auf alle Fälle“, schließt sie, „laden wir die Menschen aus anderen Teilen Deutschlands schon einmal ein, vorbeizukommen und sich anzusehen, wie wir hier vorhergehen und wie es vorangeht“.

www.kirchheimbolanden.de/_files/terrassengarten.pdf

(Nikolaus Wiesner, November 2015)