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Der Straßenchor

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Wer auf der Straße lebt, dem steht häufig nicht der Sinn nach gemeinschaftlichem Musizieren, regelmäßigen Proben oder gar Konzertauftritten. Dennoch kann Musik für Menschen in Krisen oftmals mehr bewirken als eine klassische Therapie. Dies beweist der Konzertpianist und Chorleiter Stefan Schmidt mit dem Berliner "Straßenchor", den er 2009 gegründet hat. Der Chor probt wöchentlich in den Räumlichkeiten der evangelischen Zwölf-Apostel-Gemeinde. Zur ersten Probe kamen etwa 25 Menschen, inzwischen kommen regelmäßig 30 bis 40. Die Teilnehmer sind zwischen 16 und über 70 Jahre alt. Zu ihrem Repertoire gehören neben Schlagern und Pop-Songs auch Stücke aus dem klassischen Bereich, wie Carl Orffs Carmina Burana.

Das Besondere an diesem Chor: Er setzt sich aus Menschen zusammen, die bisher aus der Gesellschaft ausgegrenzt waren, wie Obdachlose, Drogenabhängige, Prostituierte, unheilbar Kranke oder Langzeitarbeitslose. Gemeinsam ist ihnen, dass sie eine besondere Last mit sich tragen. Der Chor und die regelmäßigen Proben sollen ihnen Halt und genug Kraft geben, um auch einmal einen seelischen Durchhänger durchzustehen, ohne in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Da viele den Kontakt zu ihren Familien verloren haben und in Beziehungen schlechte Erfahrungen gemacht haben, ist der Chor für sie eine Art Ersatzfamilie. Dies wird in den wöchentlichen Proben deutlich: Hier wird nicht nur gemeinsam musiziert, sondern auch gemeinsam gekocht und gegessen.

Durch die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft wird Menschen, die sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, eine Perspektive aufgezeigt. Ihnen wird bewusst gemacht, dass es sich lohnt morgens aufzustehen, wenn man etwas hat, was einem Freude bereitet. Zudem bekommt jeder das Gefühl, so akzeptiert zu werden wie er ist, Gefühle, die die meisten Teilnehmer zumindest in der jüngeren Vergangenheit nicht allzu häufig verspürt haben dürften. Dies wird an zwei Beispielen deutlich. Eine ehemals drogenabhängige Teilnehmerin hat es nicht zuletzt durch den Halt, den ihr die Chorgemeinschaft gibt, geschafft clean zu werden und vor allem zu bleiben. Sie hat inzwischen sogar einen Job gefunden. Eines Tages traf Chorleiter Stefan Schmidt am Berliner Alexanderplatz auf eine 14-jährige Ausreißerin, die Mitglied im Chor werden wollte. Er machte ihr zur Bedingung, dass sie Kontakt mit ihren Eltern aufnehmen müsse, wenn sie dem Chor angehören wolle. Inzwischen ist sie selbst eine verantwortungsvolle Mutter, hat ihren Schulabschluss nachgeholt und plant ihr Studium. Der Zusammenhalt in der Gruppe führte im Übrigen dazu, dass kein Chormitglied mehr obdachlos ist.

Die Idee zum Straßenchor entwickelte Schmidt zusammen mit der Ufa-Filmgesellschaft, die auf der Suche nach einem Projekt war, das Menschen von der Straße holt und ihnen einen neuen Anker im Leben gibt. Doch wie schon beim australischen Vorreiter, dem Gefängnischor "Hard Knocks", blieb es nicht bei der kurzfristigen Zusammenarbeit für die Fernsehserie. Inzwischen gibt es eine CD des Chores und die Teilnehmer können auf erfolgreiche Auftritte in der Berliner Philharmonie, der Komischen Oper sowie auf  Konzertreisen an den Bodensee oder nach Marseille zurückblicken.

Weitere Informationen, Konzerttermine sowie zahlreiche Pressestimmen finden Sie auf der Webseite des Chores. In diesem Video kann zudem der Chor bei seiner Interpretation des Anti-Mobbing-Songs "Trevor's Song (it gets better)" - im Original von Chris & Taylor - bewundert werden.