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Wachstumsgrenzen - Die (Post-)Wachstumsdebatte in der aktuellen Fachliteratur

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"...Das Nachdenken über ein anderes Wachstum oder auch über Postwachstum macht daher allein deswegen Sinn, weil uns neue Fakten dazu zwingen. Darüber hinaus gibt es gute weitere Gründe für die Postwachstums-Debatte – ökologische, soziale, kulturelle.

Im hier behandelten Zeitraum 2009-2015 ist eine Fülle an Publikationen erschienen, die die Frage des Wachstums kritisch diskutieren und Alternativen dazu aufzeigen. Konsumkritische Strömungen, die sich aus der frühen Konsumkritik etwa der „Kritischen Theorie“ ebenso speisen wie aus neueren Ergebnissen der Zufriedenheitsforschung, spielen darin genauso eine Rolle wie ökologische Zugänge sowie Ansätze, die auf ein Neudenken von Arbeit [siehe dazu das WiWZukunftsdossier No. 2 „Zur Zukunft der Arbeit“ (2010), das WiWZukunftsdossier No. 3a „Alternative Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte“ (Neuauflage 2016) sowie das WiW-Zukunftsdossier No. 5 „Auf der  Suche nach einem Wohlstandsmodell“ hinwirken. Niko Paech, der 2012 mit „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in eine Postwachstumsökonomie“ einen kleinen Bestseller verfasste, hatte den Begriff der „Postwachstums- ökonomie“ bereits in dem zitierten Argumentarium für die WiW-Initiative verwendet. In Frankreich, wo bereits früher als in Deutschland über Postwachstum diskutiert wurde, hat sich der Begriff „Décroissance“, also Wachstumsrücknahme etabliert.

Im Rahmen der Initiative „Wachstum im Wandel“ sind von 2012–2014 neun Policy-Papers erschienen, zuletzt ein Papier zu „Wachstum und Verteilung“ (2014). Eine Zusammenfassung aller Papers benennt die zentralen Handlungsfelder im Kontext der (Post)-Wachstumsdebatte. Das von den PromotorInnen der Initiative „Wachstum im Wandel“ herausgegebene Argumentarium „Growth in Transition“ (2011) bereicherte auch die internationale Diskussion (HerausgeberInnen: Friedrich Hinterberger, Elisabeth Freytag, Elke Pirgmaier, Martina Schuster).

Publikationen sind immer auch ein Spiegel für neue gesellschaftliche Bewegungen. So ist in den letzten Jahren eine Vielzahl an Netzwerken und Initiativen für Postwachstum entstanden. Im angloamerikanischen Raum sind etwa die "Downsizing"-Initiativen und die ›Degrowth‹-Bewegung zu nennen ( www.degrowth.org)– als wichtiger Proponent gilt dabei der britische Ökonom Tim Jackson mit seiner Publikation "Prosperity without Growth“. In Frankreich gilt die Bewegung für „Décroissance“ um Serge Latouche („Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn“) als kritischer Stachel gegen das herrschende Wachstumsdenken ( www.decroissance.fr). In Deutschland umfasst die Postwachstums-Bewegung ein breites Spektrum von gesellschaftskonservativen Ansätzen wie dem Denkwerk Zukunft von Meinhard Miegel (www.denkwerkzukunft.de) über liberal-ökologische Ansätze, vertreten auf dem Blog www.postwachstum.de von Angelika Zahrnt u. a. und radikal-ökologische Ansätze wie jenem von Niko Paech von der Universität Oldenbourg bis hin zu linken Ansätzen etwa von attac ( www.attac-netzwerk.de/jenseits-des-wachstums) oder dem Kolleg Postwachstumsgesellschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ( www.kolleg-postwachstum.de). Große „Degrowth“-Konferenzen in Deutschland galten als starkes Zeichen der Zivilgesellschaft für ein anderes Wirtschaften ( www.degrowth.de).

Aber auch auf politischer Ebene wird zumindest über ein anderes Wachstum sowie eine erweiterte Wohlstandsmessung nachgedacht. Die OECD (Better Life Index) sowie die Europäische Kommission (Satisfaction Adjusted Life Expectancy, SALY) haben ebenso Studien erstellen lassen wie einzelne Regierungen (in Frankreich die Stiglitz-Fitoussi-Kommission, in DeutschPublikationen sind immer auch ein Spiegel für neue gesellschaftliche Bewegungen. So sind in den letzten Jahren eine Vielzahl an Netzwerken und Initiativen des Postwachstums entstanden. Im Rahmen der Initiative „Wachstum im Wandel“ sind neun Policy-Papers zu allen zentralen Handlungsfeldern der (Post)- Wachstums-debatte erschienen. Die (Post)-Wachstumdebatte in der aktuellen Literatur ZUKUNFTSDOSSIER 7 land die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, 2013). Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderung (WBGU) hat für die Deutsche Bundesregierung einen umfassenden Bericht „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (2012) verfasst.

Die folgende Literaturübersicht basiert mehrheitlich auf Rezensionen, die der Verfasser für die von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen herausgegebene Zeitschrift „Pro Zukunft“ erstellt hat. Die Reihung erfolgt thematisch: Den oben genannten regierungsnahen Berichten folgen Publikationen der internationalen Postwachstumsdebatte. Die daran anschließenden Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum gliedern sich in umwelt-, sozial- und politikwissenschaftliche Publikationen mit dem Fokus auf Ressourcengrenzen, Lebensqualität und Sicherung von Lebensstandard inkl. sozialen Errungenschaften in Postwachstumsgesellschaften sowie in innerökonomische Diskurse mit dem Fokus auf Wachstumsdynamiken im Kapitalismus, der Rolle von Finanzmärkten im Kontext des Wachstumszwangs bzw. der Öffentlichen Verschuldung und den Barrieren für Postwachstum. Abschließend werden mit Blick auf die Sustainable Development Goals (SDGs) Wachstumsaspekte im Kontext der Überwindung von Hunger und Armut diskutiert.

Jörg Randers geht in seinem Bericht an den Clube of Rome „2052 – Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre“ (2012) davon aus, dass sich das Wachstum der Weltwirtschaft in dieser Zeit verdoppeln wird, nicht jedoch wie in den letzten 40 Jahren vervierfachen. Die Wachstumsraten der OECD-Staaten würden sich maximal bis 2030 geringfügig erhöhen und spätestens ab diesem Zeitpunkt negativ ausfallen. Naheliegenderweise prophezeit Randers den Schwellenländern zunächst bedeutend hö- here Wachstumsraten (die größten soll China verzeichnen), aber auch hier wird das Wachstum zurückgehen. Nur geringes Wachstum sieht Randers (von einigen Ausnahmen abgesehen) in jener Ländergruppe, die er als „Rest der Welt“ bezeichnet – die Folgen des Klimawandels würden dabei einer der Gründe sein.

Mit Blick auf die SDGs ist zu hoffen, dass diese Prognosen sich nicht bewahrheiten werden, sondern dass ein alternativer Entwicklungspfad gelingt, der den sozialen Menschenrechten aller ErdenbürgerInnen bis 2050 zum Durchbruch verhelfen wird.

Hans Holzinger, im Jänner 2016"

Quelle: Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft