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"'Ein Unternehmer, der nicht wachsen will, ist kein Unternehmer' - so die Überzeugung eines Mittelständlers in einer Diskussion zur Postwachstumsgesellschaft. Ist das Wachstumsziel in Unternehmer/innen also 'genetisch' angelegt? Oder ist das unternehmerische Selbstbild von der politischen und gesellschaftlichen Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum geprägt? Die nächste Frage ist dann: Gibt es erfolgreiche Unternehmen, die nicht wachsen, aber in unserer wachstumsfixierten Welt nicht wahrgenommen werden?

Die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - beruht wesentlich auf der Wertschöpfung der Unternehmen. Sie ist in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in den Industriestaaten beträchtlich gestiegen, doch seit drei Jahrzehnten sind die Wachstumsraten rückläufig. Der Abschied von der Wachstumsgesellschaft steht an - und damit die Frage, was dies für Unternehmen bedeutet.

In unserem 2010 erschienenen Buch 'Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft' haben wir festgestellt, dass Unternehmen heute sowohl das Wachstum antreiben als auch selbst unter Wachstumszwängen stehen. Im Buch werden erste Ansätze vorgestellt, wie Unternehmen wachstumsunabhängiger werden könnten.

Seither hören wir in Diskussionen mit Unternehmer/innen und Unternehmensverbänden viele unterschiedliche Stimmen. Manche berichten von enormem Wachstumsdruck, der sich auch psychisch-sozial belastend auf Management und Mitarbeitende auswirkt, von zunehmenden Fehlern und Kosten sowie von abnehmender Innovationsfähigkeit. Demgegenüber konstatieren andere, dass ihr kleines oder mittleres Unternehmen seit Jahren oder Jahrzehnten nicht wächst und es ihnen gut damit geht: Sie hätten sich eine Marke und einen stabilen Markt aufgebaut oder sich in ihrem ohnehin schrumpfenden Marktumfeld arrangiert. Wieder andere berichten von stagnierenden Märkten und rückläufiger Nachfrage vor allem in Europa und fragen sich nicht zuletzt angesichts der vielfältigen Krisen, wohin das ständige Wachstum überhaupt führen solle.

In der Praxis gibt es offensichtlich Unternehmen, die nicht wachstumsorientiert und dennoch (oder gerade deshalb?) erfolgreich sind. Allerdings sind Antworten auf die Frage, wie man ein nicht wachsendes Unternehmen führt, spärlich. Jay Forrester, Begründer der Systemdynamik, stellte 2009 fest: 'I think one of the biggest management problems is going to be to understand how to manage a successful non-growing company - and how to get out of the frame of mind that success is measured only by growth... I don't think I've heard of that being taught in management schools.'

Auch uns scheint hier ein Nachholbedarf für Forschung, Lehre und Beratung zu bestehen. Bisher ist bei den relevanten Institutionen, den Hochschulen und Fachhochschulen, den wissenschaftlichen Instituten sowie den Industrie- und Handelskammern die Frage noch nicht angekommen, wie nicht wachsende Unternehmen erfolgreich geführt werden können.

Diese Lücke veranlasste uns, das Projekt 'Postwachstumspioniere' anzuregen. Wir freuen uns, dass das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) dieses weitgehend unerforschte Terrain betreten hat, und danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Förderung sowie der Stiftung Forum für Verantwortung für die Ermöglichung einer Vorstudie. So kann das IÖW mit den in dieser Broschüre vorgestellten Unternehmen zeigen, dass die verbreiteten Vorstellungen über nicht wachsende Unternehmen nicht stimmen: etwa dass sie keine Innovationen hervorbrächten, nichts zum gesellschaftlichen und technische Fortschritt beitrügen, von der Konkurrenz abgehängt würden und schließlich über kurz oder lang beim Insolvenzverwalter anklopfen müssten.

Die Portraits beeindrucken: Die Unternehmen entwickeln sich weiter, behaupten sich auf dem Markt und kooperieren mit anderen Unternehmen. Sie stärken die regionale Wirtschaft, verbessern das Wohl der Mitarbeitenden und senken Energie- und Ressourcenverbrauch. Und nicht zuletzt reflektieren sie, wie sie sich aus Wachstumszwängen befreien und proaktiv auf eine Postwachstumsgesellschaft einstellen können. Sie sind in der Tat Pioniere. Und sie zeigen, dass eine Postwachstumsgesellschaft nicht Stagnation bedeutet, sondern Innovation und Kreativität, dass sie neue Leistungen und Lösungen erfordert und hervorbringt - möglicherweise mehr als in der auslaufenden Wachstumsgesellschaft."

Quelle: Vorwort von Angelika Zahrnt und Irmi Seidl