Zukunft gestalten


Deklaration: Für eine zukunftsfähige Kultur.

I. Ausgangslage

Die fortwährende Mehrung materiellen Wohlstands ist das dominante Glücks- und Heilsversprechen unserer westlichen Kultur. Über lange Zeit wurde dieses Versprechen überzeugend eingelöst. Der materielle Wohlstand der Bevölkerung stieg beträchtlich an. Doch nunmehr stagniert er bei vielen Menschen und nicht selten sinkt er sogar. Diese Entwicklung hat mehrere Gründe:

Zum einen verschlechtern sich die physischen Voraussetzungen materieller Wohlstandsmehrung. Sowohl bei der Ver- als auch bei der Entsorgung treten Engpässe auf, durch die beispielsweise Energie, zahlreiche Rohstoffe, weithin aber auch Wasser oder landwirtschaftliche Nutzflächen knapp und teuer werden. Und teurer wird auch die Entsorgung. Mit der weltweit rasch steigenden Zahl von Menschen, die den Völkern des Westens nacheifern, beschleunigt sich diese Entwicklung. Hinzu kommen in vielen Ländern des westlichen Kulturkreises die zahlenmäßige Schrumpfung und starke Alterung der Bevölkerung sowie der steigende Aufwand für Schäden, die durch die Fokussierung auf materielle Wohlstandsmehrung entstanden sind. Zu denken ist an den abnehmenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, bestimmte Zivilisationskrankheiten oder zunehmende Wohlstandsverwahrlosung.

Zum anderen schwinden die psychischen Voraussetzungen für dynamisches Wirtschaftswachstum. Zahlenmäßig schrumpfende und stark alternde Bevölkerungen scheuen sich vor größeren Veränderungen. Sie ziehen Sicherheit bei bescheidenem Wohlstand einer chancen- zugleich aber risikoreichen Existenz vor. Zugleich erodieren die nicht-ökonomischen Grundlagen wirtschaftlicher Dynamik.

II. Herausforderung

Unter diesen ökonomischen, ökologischen, demographischen und mentalen Bedingungen ist unsere vorrangig auf materielle Wohlstandsmehrung abzielende westliche Kultur nicht zukunftsfähig. Sie ist aber auch nicht verallgemeinerungsfähig. Jene voraussichtlich neun Milliarden Menschen, die in wenigen Jahrzehnten die Erde bevölkern werden, werden mit Sicherheit nicht so leben können wie wir heute leben.

Das zwingt die Völker des Westens zu Verhaltensänderungen. Sie müssen ihre Lebensweise den Bedingungen einer sowohl endlichen als auch transparenten Welt anpassen. Das ist für sie nicht einfach. Denn sie sind zutiefst geprägt von Erwerbsarbeit, Besitzstreben und materieller Wohlhabenheit. Noch bedeutsamer ist jedoch, dass sie die Funktionsfähigkeit ihrer Gemeinwesen: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, gesellschaftlichen Frieden und sogar den Bestand der freiheitlich-demokratischen Ordnung abhängig gemacht haben von Wirtschaftswachstum und materieller Wohlstandsmehrung.

Die notwendigen Verhaltensänderungen setzen einen nachhaltigen Bewusstseinswandel breiter Bevölkerungsschichten voraus. Die Menschen müssen wieder erkennen, dass eine weitgehend auf materielle Wohlstandsmehrung fokussierte Kultur eine arme Kultur ist. Die Elemente jeder Kultur wie Kunst, Politik, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft oder bestimmte Sicht- und Verhaltensweisen befinden sich nicht mehr in dynamischer Balance und werden deshalb nur unzulänglich wirksam. Diese Balance muss wieder hergestellt werden. Insbesondere müssen das gesellschaftliche Miteinander, gegenseitige Hilfe, Verantwortung und Zuneigung bei abnehmender Wirtschaftskraft größere Bedeutung erlangen. Insgesamt muss unsere westliche Kultur wieder in ihrem ganzen Reichtum und ihrer großen Tiefe, Vielfalt und Schönheit erstehen. Das aber heißt: sie muss grundlegend erneuert werden. Nur dann wird sie wieder zukunftsfähig.

III. Aufgabenstellung

Um hierzu beizutragen wollen wir - politisch unabhängige Männer und Frauen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und aus unterschiedlichen Berufen und gesellschaftlichen Bereichen - im Denkwerk Zukunft unsere vielfältigen Aktivitäten zur Erneuerung unserer Kultur aufeinander abstimmen, verstärken und dadurch wirkungsvoller werden lassen. Wir wollen die Risiken, vor allem aber die Chancen abnehmender materieller Wohlstandsmehrung aufzeigen und den Reichtum nicht-materieller Wohlstandsformen bewusst machen. Wir wollen zeigen, dass unser Gemeinwesen auch ohne die bisherige Dominanz des Materiellen gedeihen und voll funktionsfähig bleiben kann und größerer nicht-materieller Wohlstand sogar ein lebenswerteres Leben ermöglicht. Scheinbarer Verlust kann sich als Gewinn erweisen. Unser Ziel ist die Erweiterung des derzeit auf Materielles verengten Wohlstandsverständnisses. Wohlstand ist auch Bildung und musische Erziehung, ein vertieftes Verständnis von Natur und Kunst, die breite Entfaltung menschlicher Phantasie und Kreativität, Wissenschaft und Religion. Nur bei einem solchen Wohlstandsverständnis wird das Leben der Menschen auch noch in Generationen reich und lebenswert sein.

im Oktober 2008